2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)
waren uns auf den Fersen, und Smaragd-Sturmschritt war ihr Anführer. Die Menschenmassen hatten sie aufgehalten, und sie waren noch wenigstens vierhundert Schläge entfernt; dennoch war es bestürzend: Die Lage hatte weniger Verwirrung geschaffen als erhofft. Ein paar von den Ozelots entdeckten uns und riefen uns zu, wir sollten stehen bleiben und schön auf die Tanzfläche kommen.
Nichts, signalisierte ich Hun Xoc. Ich sammelte mich und rannte weiter bergan. Was ist hier eigentlich los?, fragte ich mich, obwohl ich die Antwort wusste. 2-Juwelenbesetzter-Schädel – mein Hirnkumpel und angenommener und spiritueller Vater – hatte seine Harpyien-Geblüte gedrillt. Er hatte ihnen beigebracht, in enger Formation zu kämpfen, Deckung zu nehmen, ihren Beschuss zu konzentrieren und nicht zu versuchen, lebende Gefangene zu machen – grundlegende Elemente der militärischen Führung aus der Zeit vor dem Funkgerät. In einem ausgeflippten Rittersystem waren das nur eben keine Selbstverständlichkeiten. Ich meine, auch in Europa hatte es Jahrhundertegedauert, bis die Generale lernten, nicht ihren Truppen voraus in die Schlacht zu reiten und dabei eine Flagge zu schwenken, auf der stand: ERSCHIESST
MICH
!
Ich nahm eine weitere Biegung. Die Ozelots hatten wahrscheinlich nicht damit gerechnet, dass die Harpyien es darauf anlegen könnten, sie zu töten. Wenn überhaupt, erwarteten sie, dass eine feindliche Streitmacht sich zurückzog und einzelne Geblüte herausforderte, vorzutreten und zu kämpfen.
Fabelhaft. Vielleicht steckte 2-Juwelenbesetzter-Schädel ja gar nicht so tief in der Tinte, wie ich gedacht hatte. Dass er sich etwas einfallen ließ, hätte ich mir denken können, sollen und müssen, zumal es genau das Gleiche war, was auch ich mir hätte einfallen lassen.
Würde es genügen, damit er siegte? Ich schaute noch einmal zurück. Die Harpyien warfen Verwundete hinunter in die anstürmende Masse von Geblüten. Endlich verhalten sie sich mal clever, dachte ich. Vielleicht haben sie so eine Chance.
Etwa sechs Seillängen weiter – eine Seillänge über dem höchsten Dach in den Großhäusern der Ozelots – überquerte der Aquädukt den südlichen Laufweg des Ozelot-Berges, und wir ließen uns auf die stuckverzierte Fläche fallen. Sie war ganz schön schmal, nur ein Prozessionsweg, der vom Gipfel über gestufte Pässe zum inneren Gelben Tor des Schnupfer-Viertels und dann hinaus aufs Festland führte. Links war kein Geländer oder so etwas, nur ein tiefer Abhang, der auf der Ebene der unteren Terrasse endete. Die smaragdgrüne Mauer des Ozelot-Giftgartens lag zu unserer Rechten. Sie war nur eine halbe Seillänge hoch, aber gekrönt von einer großen Hecke mit zwei Fingerbreit langen Dornen, die man bei Heilandskreuzigungen gern zu Kronen flechtet. Etwa zweihundert Schritt hinter uns kreuzte der Weg eine breitere Straße – breit genug, dass zwei Männer aneinander hätten vorbeigehen können –, die von den inneren Priesterquartieren zum Mul-Komplex auf dem Gipfel des Berges führte. Uns war nun ein größerer Trupp auf der Spur, der sich auf der Hauptstraße im Laufschritt der Kreuzung näherte und nur noch hundert Schritt davon entfernt war. Im Zinklicht waren die Geblüte beängstigend deutlich zu erkennen. Sie hatten sich gesagt, dass wir zum Festland wolltenund das Frauenhaus soeben umgangen hatten. Ich konnte Smaragd-Sturmschritts Standarte nicht sehen, war mir aber ziemlich sicher, dass es seine Leute waren.
Wir können es schaffen, sagte Hun Xoc und wies nach vorn unten zum Kanal. Ich sah ein paar smaragdgrün gekleidete Gestalten auf der Straße – Ozelot-Anhänger –, aber niemanden, an dem wir nicht vorbeigekommen wären. Ich hatte vergessen, dass Hun Xoc noch immer glaubte, ich wollte zum Festland.
Frische Harpyien-Blasrohrtrupps schienen auf Booten in die Kanäle einzufahren. Auf der anderen Seite wurde im Schnupferviertel gekämpft, doch aus dieser Entfernung wirkte die Schlacht richtungslos wie ein Überfall roter Ameisen auf ein Nest schwarzer Ameisen, eintausend Spiele ritualisierten Fangens, bei denen es drunter und drüber ging.
Wir müssen uns aufteilen, sagte ich. Ich pickte zwei Rassler-Geblüte heraus und befahl ihnen, den Weg gegen Smaragd-Sturmschritts Jagdgruppe zu halten. Ihr Hauptmann wiederholte den Befehl, und sie zögerten nicht, sondern stürmten hinunter in den sicheren Tod.
Ich wandte mich wieder nach Süden, weil dort irgendetwas vor sich ging. Zwei
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