2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)
Grund auf meine linke Seite. Vielleicht war es dort feuchter. Besser für ihr Gelege. Nach einunddreißig Stunden roch ich den schwarzen Hauch von Clostridium , dem Vorboten des Wundbrandes, an meinem vergifteten rechten Fuß. Toll, dachte ich, das hat mir noch gefehlt. Ich lag nur da und rieb meine rechte Handfessel in Kreisbewegungen gegen eine Weidenquerleiste, womit ich den Riemen nach ein paar Jahren vielleicht wirklich durchschaben könnte, während ich spürte, wie mein Schorf sich kräuselte, meine Haut verfaulte, mein Körper zu Erde wurde. Mein gesundes Bein spürte die Hitze, die der Verfall meines schlechten Beines freisetzte. Ich bin nur ein Komposthaufen, dachte ich. Post-Consumer. Verbraucht. Viel passierte nicht gerade. Von draußen hörte man Lärm, aber es war zu durcheinander, um etwas zu verstehen. Es hätte eine Schlacht sein können, eine Party, eine Elchherde, alles Mögliche. Hin und wieder rannte ein Paar roter Ratten unter den Körben durch. Ich freundete mich mit den Fliegenscharen an und auch den Menschenläusen, die mich zur Besiedlungvermaßen. Die Sache ist eben die, dass pure Verzweiflung kein so besonders interessantes Gesprächsthema hergibt. Nach einer Weile wird sogar Schmerz langweilig. In der einundvierzigsten Stunde unserer Einkerkerung, gleich nach meiner Morgenschicht, flaute der Wind ab, und der Gestank stieg wieder um uns hoch.
»Das Wasser« , hörte ich 2-Juwelenbesetzter-Schädels Stimme.
Ich zog mich zusammen wie eine angestochene Seegurke. Ich dachte, wir wären hier ganz allein. Vermutlich hatte der alte Junge seine neuweltlichen Ninja-Schleichkünste noch nicht verlernt. Oh, hi, dachte ich, sorry, ich dachte, wir hätten die Bude für uns ganz allein.
»Du klingst, als hättest du Ärger«, wisperte ich. Ich hatte keine funktionierenden Stimmbänder mehr.
»Was ist in dem Wasser?« , fragte er. Ich spürte, wie einer seiner spitzen Fingernägel meine Wange durchbohrte, wurde aber langsam unempfindlich dagegen.
»Ich habe dir doch gesagt, sie hat es auf dich abgesehen«, flüsterte ich. Er schob den Nagel noch weiter hinein, bis ins hintere Ende meiner Zunge. Ich vermutete, er wollte damit sagen, dass ich seine Frage beantworten sollte.
»Das weiß ich nicht«, würgte ich um seinen Finger herum. »Ist da Hexenkunst am Werke?«
»Ich werde deinen Gespielen, Hun Xoc, jetzt hinrichten«, sagte er auf Ch’olan.
»Das klingt gut«, erwiderte ich. »Ist dir das recht?«, fragte ich, indem ich in die Gleichgestellten-Form wechselte, die Hun Xoc und ich benutzten, wenn wir miteinander sprachen. Ich hörte ihn bejahend schnalzen. Doch stattdessen begannen 2-Juwelenbesetzter-Schädel und noch jemand meine Fesseln zu lösen. Wahrscheinlich hatte ich einen Termin beim Zahnarzt. Ich hielt den Atem an und drückte ihn hoch in meinen Kopf, bezwang mich selbst und machte, was man auf dem Spielplatz »eine Erdbeere machen« nannte, aber es war eigentlich ein alter Folteropfertrick. Weil es dunkel war, kam ich damit durch und wurde zufriedenstellend bewusstlos.
(47)
Mein Kopf arbeitete halbwegs wieder, als sie mich durch die offenen Gassen aus dem Ozelot-Haus schafften und auf den oberen Zócalo brachten. Mittag war bereits vorbei. In der Luft hing noch der Rauch von trockenem Holz mit Kalk. Brennende Gebäude. Irgendwie hatte man das Gefühl, unter der Stadt sei der Boden weggebrochen. Mein Auge, in das der Necker Wasser gesprüht hatte, fühlte sich merkwürdig an; es zuckte umher und wollte nicht scharfstellen. Zu den ersten Dingen, die ich bemerkte, gehörte ein Harpyien-Gardist, der über den Boden kroch. Er spuckte und wiederholte ständig: »Kot wuk, kot wuk, kot wuk« , das heißt: »Hier ist mein Lieblingstantchen, hier ist mein Lieblingstantchen.« Na, das ist doch ein gutes Zeichen, dachte ich. Das Erdsternzeug hat die gewünschte Wirkung – wenigstens auf einen. Sie führten mich steile Treppen hinunter. Ich hörte laute Rufe und die Aufschläge zahlreicher Bälle, die vom Großen Hüftball-Platz kommen mussten, dem Widerhall nach zu urteilen. Der Platz war nicht weit entfernt, aber ich konnte nicht sagen, in welche Richtung er lag.
Schließlich arbeitete mein Auge wieder so weit, dass ich sehen konnte, dass wir uns auf der erhöhten Plattform vor dem Mattenhaus befanden. Ich hatte nicht gerade einen großartigen Tiefeneindruck und musste mit dem Kopf hin und her pendeln, um ein breiteres Gesichtsfeld zu haben; deshalb dauerte es ein wenig, bis ich erkannte,
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