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2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)

2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)

Titel: 2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian D'Amato
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den Männern viel stärker gleichgestellt waren. Immer wieder fragte sie mich, ob ich Frauen in jeder Hinsicht als den Männern gleichwertig erachtete, und ich antwortete mit Ja, auch wenn offensichtlich sei, dass Frauen sich niemals so gut wie Männer auf das Sammeln von Baseball-Fanartikeln verstehen würden. Koh konnte gar nicht oft genug hören, was mir über mächtige Frauen in der Alten und später der Neuen Welt einfiel, und so saß sie in meinem vonZigarrenrauch geschwängerten Krankenzimmer und hörte sich an, was ich über die drei Kleopatras, über Zenobia, Johanna von Orleans, Sor Juana Inés de la Cruz, Katharina die Große, Margaret Thatcher, Eva Perón, Madonna, Hillary Clinton, Rigoberta Menchú, Marena, Jenny McCarthy und wen auch immer zu erzählen hatte. Sie fragte, ob Frauen in Kriegen gekämpft hätten. Ich antwortete, Kampf sei bei Frauen noch immer nicht so beliebt wie bei Männern – »noch immer« zu sagen war natürlich unbedacht von mir. Und sie fragte mich so viel über die Kriegskunst, dass ich vermutete, sie wolle Armbrustschützen ausbilden. Die Sache mit den Gefangenen begriff sie allerdings gar nicht. Welchen Sinn habe es, jemanden gefangen zu nehmen, fragte sie, wenn man seine Trophäen später zurückgeben müsse. Auch das Konzept der Chancengleichheit erfasste sie nicht. In ihrer Welt buk man entweder Tortillas oder besiegte seine Feinde – oder schaute zu, wie Untergebene es für einen taten –, und wenn nicht, war man ein gesellschaftliches Nichts, egal, ob man Architekt war, ein großer Freskenmaler, ein Rassler-Mönch, Symposiarch wie Zur Linken, ein Entfleischer oder ihre geliebte Lieblingszwergin.
    Doch mehr als für jedes andere Thema interessierte sie sich für Mathematik. Die arabischen Zahlen beeindruckten sie nicht sonderlich – die in Wahrheit indischer Herkunft sind, genauer gesagt ostindischer –, aber Trigonometrie, Gleichungen höherer Ordnung und besonders Spieltheorie schlugen sie in den Bann. Nach ein paar Stunden mit Übungsaufgaben zur »Einführung in die Wahrscheinlichkeitsrechnung I«, die sie auf einem Bohnen-Abakus ausrechnete, kam mir der Gedanke, dass ich auch hätte zu Hause bleiben können, um Erstsemestertutor zu werden, aber wirklich die Geduld verlor ich nie. Koh hatte eine rasche Auffassungsgabe. Für Kunst und Literatur interessierte sie sich kaum; sie verstand nicht, wieso man Kunst um der Kunst willen betrieb, was immer das aussagen soll. Ein paar Mal befragte sie mich zu modernen Tonleitern, und ich versuchte sie ihr zu demonstrieren, aber Schakals Singstimme war auch nicht besser als die von Jed 1 . Wir bastelten Hubschrauber und Flugzeuge aus Papier und falteten Sterne und Kristalle mithilfe von Modularem Origami. Koh liebte sie so sehr, dass sie sich weigerte, sie zu verbrennen. »Nachwenigen Drehungen« – Jahreszeiten – »sind sie ohnehin verrottet«, wandte sie ein, und damit hatte sie recht.
    Zuerst dachte ich, ich öffnete mich ihr nur, weil ich einsam war, aber ich muss zugeben, dass ich sie immer mehr mochte. Natürlich erinnerte sie mich in vieler Hinsicht an Marena, nur dass Marena ein freches Mundwerk hatte und völlig verkorkst und absolut brillant war, während Koh zu größerem Ernst neigte und ungefähr eine Million mal mehr Spiritualität besaß. Koh besaß eine innere Ruhe, die beinahe schon kühl erschien. Für einen westlichen Menschen des 21. Jahrhunderts wäre Gong Li neben ihr geradezu warmherzig erschienen. So außergewöhnlich Koh auch sein mochte, sie war und blieb eine Maya.
    Und das führte letztlich zu Reibereien zwischen uns. Einmal kam sie am späten Nachmittag mit einigen Konten herein, die ich mir ansehen sollte, und erwähnte, dass zwei Dörfer gefangener Ozelot-Anhänger bei einem »Rennschmaus« am Abend nur zur Unterhaltung geopfert werden sollten. Das bedeutet, dass jeder aus den beiden Dörfern getötet würde, einschließlich der kleinsten Kinder. Und wenn ich etwas über das Verhalten siegreicher Geblüte wusste, ob Rassler oder nicht – bei Geblüten handelte es sich letzten Endes nur um aufgeputschte, maisbiergefüllte Teenager –, stand den armen Leuten kein angenehmer Tod bevor. In letzter Zeit war es besonders beliebt (wie bei allem gibt es Modeerscheinungen auch bei der Folter), die Gefangenen Säckchen mit Bohnenmehl schlucken zu lassen, eines nach dem anderem. Dann zwang man sie, jede Menge Wasser zu trinken, und die armen Schweine quollen von den Bohnen und den Gasen auf, bis

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