2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)
Blumen. Als Nächstes kamen Körbe mit konservierten Ringelblumen aus Choula, die man Mexikanischen Estragon nennt, Kalebassen mit Orchideenhonig aus den Wolkenwäldern und zuletzt ein Gegenstand aus Panama, noch immer eine Neuheit: ein um den Hals getragener Brustschmuck aus neun Schnüren mit vierhundert wie Perlen aufgereihten türkisäugigen Kolibris aus gehämmertem Gold. Dann strömten die menschlichen Geschenke herein und hockten sich rings um die übervolle Matte: zwei Jade-Meisterschnitzer, vier Färber, die mit der Koschinelle umzugehen wussten, und zehn Schokolademischerinnen – ihr ganzer Lebenszweck bestand darin, Kakao zu verarbeiten und Schokoladengetränke herzustellen –, jede mit eigenem Mahlbrett aus Ton und hölzerner Rolle und einem Satz hoher Krüge. Das Schwierigste, was sie ausführten, bestand im Umgießen der heißen Schokoladenflüssigkeit von einem der hohen Krüge in den anderen, immer wieder, damit immer höherer Schaum entstand. Je mehr Schaum man auf der Schokolade bekam, ein desto größerer Macker war man hier. Jedenfalls, sämtliche sechzehn Dienstboten würden bis ans Ende ihres Lebens in Kohs Haus arbeiten.
Nur noch zwei weitere Geschenke waren zu überreichen. Das erste war meine eigene Idee; ich hatte es selbst gemacht, damit Koh wenigstens eine echte Überraschung erlebte, obwohl sämtliche Geschenke als Überraschungen galten. Ich rollte es aus seiner Hülle und legte es persönlich neben die Steine des Herdfeuers. Es sah aus wie eine gewöhnliche Flöte aus Eisenholz, doch sie war chromatisch, mitsechs zur Querflöte angeordneten Löchern und auf D gestimmt statt auf die doppelte fünfstufige Molltonleiter, die man hier benutzte. Ich hatte mit der Arbeit an dieser Flöte vor hundertdreiundvierzig Tagen begonnen, an dem Tag, an dem Koh mich mit meinem abgetrennten Bein bekannt gemacht hatte, und ich hatte bis jetzt gebraucht, sie zu stimmen und den Flötisten auszubilden, der sie spielen sollte. Ich hatte den Griff im Stil Teotihuacáns angeordnet, aber sie brachte Tonleitern hervor, die niemand hier je gehört hatte.
Das letzte Geschenk war etwas Besonderes. Mit einer Geste der Endgültigkeit breitete die Oberträgerin drei wie Akkordeons gefaltete Tributbücher über die kalten Steine des Herdfeuers. Jedes Buch war in gerupfte Adlerhaut gebunden und voller Tributlisten und codierter Karten, die die Rechte an einhundertachtzehn Dörfern und Tausenden Morgen Harpyien-Ackerland darstellten. Dies war der einzige ernsthafte Teil des Brautpreises.
Genug jetzt aber, dachte ich. Ich hatte überlegt, zwölf Geblüte blutend, elf Zwerge zwergend, vierundfünfzig andere Dinge und einen Geier in einem Feigenkaktus draufzulegen. Ich weiß, es klingt irgendwie nach einem Prasser-Event wie beim Herzog von Berry oder den Miller-Schwestern, aber tatsächlich war unsere Hochzeit längst nicht die aufwändigste königliche Heirat. Angeblich hatte vor siebenhundertzwanzig Jahren bei der Hochzeit 1-Schokolades von Caracol der achtjährige Bräutigam vierhundert Leibeigene allein wegen des Spektakels töten lassen, ohne sie einem bestimmten Unsterblichen darzubieten.
Die sogenannten Schwiegereltern musterten alles. Wenn Marcel Mauss das nur sehen könnte, dachte ich. Endlich begannen die Raumdiener die Beute aufzuheben, und 1-Gila sagte, es sei okay, wenn ich ins beschissene Haus käme.
Der Raum war groß, vielleicht so groß wie das Oval Office und ähnlich geformt, und bis auf einen undurchsichtigen Standschirm am anderen Ende war er völlig leer. Nicht mehr lange, dachte ich. Die beiden Elternpaare und die Paten nahmen auf Matten rechts von der Tür Platz. Putzibär und ich setzten uns ihnen auf der anderen Seite gegenüber. Die Mädchen und andere weibliche Verwandte schartensich hinter dem Schirm. Es war selten, dass Frauen überhaupt zu sehen bekamen, wie Männer aßen, aber Koh machte für ihre Mutter und meine Ersatzmutter und die diversen Patinnen eine Ausnahme. 1-Gila schickte einen Boten, um die Hohe Hebamme zu holen, die wahrscheinlich sowieso alles durch ein Loch in der Wand beobachtete. Ein Träger brachte ihm einen Korb, und er nahm einen langen halach wex heraus, einen Lendenschurz, ein sehr hübsches Stück mit kleinen Perlen, die meine Hieroglyphen bildeten und meine zweifelhaften Leistungen darstellten. Mehr als nur ein paar Näherinnen mussten blind dabei geworden sein, dieses Ding in nur hundertzwanzig Tagen fertigzustellen. Er reichte es mir mit einer
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