2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)
Spaß zusammen, oder? Du hast hier Großes geleistet. Du bist der Größte. Komm schon. Es bedeutet doch, dass du im Spiel bleibst, oder? Kein Spiel, kein Ruhm, richtig? Mehr Spiel. Komm schon. Bittebitte, bittebitte, mit Zucker und dem Blut von vierhundert unsterblichen Königen drauf. Bitte bitte bitteschön.«
2-Juwelenbesetzter-Schädel blickte mir neun Schläge lang ins Auge. Unglaublicherweise schien er zu lächeln; dann erst begriff ich, dass er immerfort etwas wiederholte:
»Die Handschwungfeder eines Harpyienadlers«, keuchte er, »die Handschwungfeder eines Harpyienadlers, die Handschwungfeder eines Harpyienadlers …«
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Das Protokoll verlangte, dass ich als Letzter ging. Vor mir marschierten meine beiden Fackel- und Standartenträger, dann Hun Xoc, Maske-von-Jaguar-Nacht, Alligator-Wurzel, ihre drei Diener und schließlich vier verurteilte Arbeiter, die nicht zurückkehren würden. Ich hielt die Handschwungfeder des Harpyienadlers dicht an meine Brust gedrückt. Hatte 2 JS mir das richtige Passwort genannt, oder hatte er mir mit seinem letzten Atem noch eins ausgewischt? Na, in ein paar Minuten wissen wir mehr. Hölle, Hölle, Hölle. Der lange kahle Gang fiel mit ungefähr zwanzig Grad ab. Auf dem Boden lagen noch immer Planken, über die Rollwalzen gefahren waren, als die Steinmetze das Grab für 9-Reißzahn-Kolibri nach meinen Vorgaben umgebaut hatten; deshalb konnte ich müheloser gehen als sonst und aus eigener Kraft, indem ich mich an den Wänden abstützte. Fackellicht knospte an den Rändern meines wachsenden, dann wieder schrumpfenden Schattens und tastete über die schwarzen Felsnadeln wie der Ultradetails enthüllende Strahl eines Elektronenmikroskops. Es roch süßlich nach verwesendem Velin. Wir bogen nach rechts um die Ecke, nach Norden also, und kamen an eine Flechttür. Ich löste die Knoten. Meine Träger banden die Schnüre los und zogen die Tür auf. Wir betraten, was man die Bibliothek des Ozelot-Hauses nennen könnte, doch da wenigstens fünfundneunzig Prozent der Bücher nie geöffnet worden waren, wäre es wohl zutreffender, den Raum als Archiv zu bezeichnen, oder als eine Geniza, ein Aufbewahrungsraum für alte geheiligte Texte, die nicht vernichtet werden dürfen. Der Raum war kahl und hoch mit einer Grundfläche von ein mal drei Seillängen, und die Wände bedeckten Regale voller horizontal gefalteter Leporello-Bände. Bei den meisten handelte es sich um Kontenbücher und Tributlisten, um Urkunden und Petitionen, Erlasse und Verbote undrechtliche Eingaben, die bis zu fünfhundert Jahre alt waren. Es gab aber auch Almanache, Bündel von Sonnen- und Venusjahren, wie man die Ratsprotokolle nannte, und Bücher der Seelennamen, also genealogische Geschichten der Großen Häuser von Ix, gestohlene Chroniken anderer Stadtstaaten, von Dutzenden Händen aus mittlerweile zerfallenen Büchern kopiert, ältere Exemplare der erzählten und niedergeschriebenen Geschichte, die weit, weit zurückreichte bis in die Zeit vor der Flucht aus den Fünf Nordwestlichsten Höhlen, dazu Beschreibungen von Ritualen und Protokolle und Pflanzenbücher mit Heilmitteln und Beschwörungen und chirurgischen Methoden und Rezepte für Genesungsdiäten und die dazugehörigen Speisepläne und diagnostisch nutzbare Gerüche und Geschmäcker und Geräusche und Proportionen und Eigenschaften, Muster zum Weben und Sticken und Werke über Ackerbau und Architektur und die Bereitung von Düngewasser. Ganze Quadrat-Seillängen befassten sich mit dem Theater der Grausamkeit: Anweisungen, welche Demütigung bei welchem Rang des Gefangenen an welchem Tag anzuwenden waren, Kalender für die Abfolge von Verstümmelungen, Rezepte für Folter durch Leguane und fleischfressende Käfer, durch Zwangsernährung und Nahrungsentzug, durch Verabreichung nichttödlicher Giftdosen über Jahre, durch langsames Erdrücken, durch langsame Erhöhung des lastenden Gewichts wie bei den Hexen von Salem, durch Eingießen in Gips, durch die Sonne, durch sich langsam schließende Dornenfallen, durch selektives Häuten über Jahrzehnte hinweg, durch eingeatmete Gewürze, durch Rauch, durch Salz, per Stellvertreter, durch Dämonen, durch absichtlich herbeigeführte Magengeschwüre und Abszesse und andere kontrollierte Krankheiten, durch Blutvergiftung, durch etwas, das wir Hypnose nennen würden, durch absichtlich herbeigeführte Drogensucht und darauffolgenden Entzug, durch erzwungenen und verweigerten Geschlechtsverkehr, allein durch
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