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2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)

2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)

Titel: 2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian D'Amato
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Er hob einen Arm und machte schwächlich ein Zeichen, das in etwa: »Gut, sprich, was willst du?« bedeutete.
    »Mein Urgroßvater, könnte ich an der Reihe sein,
    Meinem Urgroßvater eine Frage zu stellen?«, fragte ich.
    Er winkte ein »Erlaubnis erteilt«. Ich schnürte Kohs Reisespielmatte auf und stellte die Position vor ihrem letzten Zug auf – dem Zug, den sie nicht mehr hatte machen können. Man bräuchte ein Buch so dick wie Moderne Schacheröffnungen , um den Spielstand in Worten zu erklären, doch letztlich war der Läufer zwar in die Ecke gedrängt, aber noch nicht ganz umzingelt. Ich konnte nicht sehen, wie man am Enddatum des 4 Ahau vorbei ins Zentrum des Bretts kommen sollte, aber Koh hatte offensichtlich etwas entdeckt, eine Art Abkürzung. Wie die Leiter im Leiterspiel oder die Geheimgänge in Cluedo . Der Oberpriester beugte sich vor und musterte das Brett ein paar Minuten lang; dann sah er auf und suchte meinen Blick, schaute durch einen mehrstufigen grauen Star. Wie ich schon erwähnt habe, war die Suche nach Blickkontakt ein ungewöhnliches, aggressives Verhalten, geeignet, einen Bären oder einen Angreifer niederzustarren, in Gesellschaft jedoch verpönt. Ich kannte es gar nicht mehr und musste an mich halten, um nicht finster dreinzuschauen. Nicht blinzeln, dachte ich und hatte sofort ein überwältigendes Bedürfnis danach. Ich glaubte zu erkennen, dass sich die Klippen seines Gesichts verzogen und ein Lächeln andeuteten, aber vielleicht bildete ich es mir auch nur ein.
    »Und was sollte ich dir sagen, neuer Ahau?«,
    fragte er in altmodisch betonter heiliger Sprache. Seine Stimme kam nicht von seinen Stimmbändern, sondern aus dem Bauch, und schien durch ein Loch in seinem Rücken gequetscht zu werden.
    Ich fragte ihn, was er meine.
    Es gebe Tausende möglicher Züge, erwiderte er, wie könne er mir den nächsten zeigen?
    Ich fragte ihn, ob ich das Spiel bis zu diesem Punkt für ihn spielen solle.
    Ich wisse wohl wirklich nicht besonders viel über das Opferspiel, entgegnete der Oberpriester.
    Ich bejahte, erklärte ihm dann, was der Welt drohte, und schilderte, wie Koh in ihrem letzten Augenblick nur »Du« gesagt hatte, doch schon bald schnitt der Alte mir das Wort ab. Wie es schien, wusste er bereits, dass ich aus einer anderen Zeit kam, und vielleicht noch mehr, doch interessierte es ihn nicht. Er sagte, dass man unter Umständen durch eine lange Abfolge von Schritten von der Ecke ins Zentrum gelangen könne, aber die meisten Spieler seien damit überfordert. Er ganz besonders, sagte er. Er sei nicht mehr so schnell wie früher. Ich glaubte ihm aufs Wort. Koh habe zwischen zwei- und dreihundert Züge vorausgedacht, sagte er. Wie sollten wir da wissen, auf welches Resultat sie hingearbeitet habe?
    »Was würdest du denn tun, Urgroßvater?«, fragte ich. Jetzt sag es schon, du nutzloser alter Höhlenkasper!
    »Ma na’atik« , erwiderte er. »Ich weiß es einfach nicht.«
    Worin immer Kohs Abkürzung bestanden habe, fügte er hinzu, sie müsse sie selbst entwickelt haben. Vielleicht seien auch einige andere Spieler darauf gekommen, aber allgemein verbreitet könne die Methode nicht sein, denn diese Position komme nicht häufig vor. Eigentlich nie. Wie auch immer, er müsse die menschlichen Spieler neu versammeln, um zu hören, wie die Zählung lag, ehe er auch nur Vermutungen anstellen könne, wie die Züge aussahen. Vielleicht habe allein das Gespräch mit mir Koh zu neuen Einsichten verholfen.
    Dann solle er mit mir sprechen, verlangte ich.
    Er sei zu müde, antwortete der Oberpriester; er sei eine plappernde Schale Brei. Er kicherte ein bisschen, und ich bemerkte, dass er noch immer vier oder fünf spitz zugefeilte, rot emaillierte Zähne besaß.
    Eine Zeit lang war ich sprachlos. Verdammt, dachte ich dann, ich wusste ja gleich, dass Koh ein Genie gewesen ist. Sie hatte diese einzelne Codezeile entdeckt, mit der sich ein ganzer fraktaler Planet generieren ließ, dieses wiederkehrende Muster im Herzen des Zufalls. Gott würfelt mit dem Universum, aber beim Würfelspiel kann jeder gewinnen. Nur hat sie mich leider nicht rechtzeitig in ihr Geheimnis eingeweiht, und wir Übrigen waren bloß umhertappende, dem Untergang geweihte Halbidioten. Wir sind am Arsch, dachte ich zum oktillionsten Mal. Laut quiekend entwindet sich das geölte Schwein mir immer wieder. Völlige Enttäuschung hat einen ganz besonderen Geschmack, und dieser Geschmack stieg mir in den Mund und sabberte mir auf das mit

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