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2.02 Der fluesternde Riese

2.02 Der fluesternde Riese

Titel: 2.02 Der fluesternde Riese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Masannek
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Ende der Welt, vielleicht in Tasmanien, einen Kieselstein kicken, um uns damit zu erschlagen.
    Oh! Nein! Verflucht! Ich hielt mir die Ohren zu. Denn in meinem Traum, der kein Traum war, verwandelte sich dieser tasmanische Kiesel umgehend in eine Gerölllawine, die aus dem Teufelstopf kam und sich auf mich zuwälzte.
    Ich floh aus dem Haus. Ich riss mein Fahrrad hoch und raste zu Juli, um ihn zu warnen.
    „Wir müssen hier weg! Da kommt eine Lawine!“
    Doch Juli lachte mich aus. Er kicherte nur. Er saß in seinem Zimmer in einem Laufstall und hatte einen Schnuller im Mund.
    „Guck doch mal, Marli! Es ssssneit sssson. Es ssssneit!“, kicherte er wie ein Kleinkind und deutete auf die Schneeflocken, die von der Decke fielen.
    Ich bekam einen Schock, und als ich nach draußen stürzte, war es Winter geworden. Die ganze Stadt lag unter einer Decke aus Eis. Der Schnee fiel so dicht, dass man die Hand vor Augen nicht sah, und als ich das Haus von Raban erreichte, rannte ich in den Dicken Michi hinein.
    Ich klebte an seinem Schwabbelbauch wie in einem Riesenkaugummi, und als ich mich endlich aus ihm befreite, sah ich, dass es nicht Michi war. Der Kerl sah aus wie der Rattenfänger von Hameln. Nein, es war Michi, der sich als Rattenfänger verkleidet hatte, und jetzt blies der Fettsack auf seinem Kamm.
    Die Musik war ganz schrecklich. Doch Raban, der aus dem Haus kam, verdrehte die Augen, als hätte er noch nie ein so schönes Lied gehört. Er folgte dem Ratten-Michi verzaubert, und ich konnte mich auch nicht mehr gegen ihn wehren. Ich lief Raban nach. Ich jaulte zum Ton. Ich kicherte so, wie Juli gekichert hatte, und als ich mich umdrehte, sah ich ihn und die anderen: ja, Juli, Maxi und Markus und Leon und Nerv. Sie folgten uns alle, und Michi, der Rattenkammbläser von Hameln, der wie ein Rhinozeros tanzte, führte uns in die Säbener Straße. Dort, auf dem Trainingsgelände der Bayern, öffnete sich eine dunkle Gruft, und in der wurden alle Kerle begraben.

    „Ihr seid doch nur ein paar herumkickende Kinder!“, hörte ich Rocces Vater, den Fußballprofi der Bayern 20 , als er die Steinplatte auf unser Grab schob. Und der Vater von Maxi, der ihm dabei half, grinste zufrieden.
    „Die Wilden Kerle gibt es nicht mehr.“
    Da wachte ich auf.
    Oder zumindest dachte ich jetzt, dass ich endlich aufgewacht war. Ich hatte doch gar nicht geschlafen. Aber um mich herum war es absolut finster. Ich konnte nichts sehen. Ich hörte nur etwas. Ich hörte so etwas wie einen Schuss. Doch der Ball, der geschossen wurde, war kein richtiger Ball. Das war ein mächtiger Globus. Er donnerte gegen die Wohnzimmerwand. Ich hörte das Scheppern der Glasvitrine. Dann zerplatzte die Fensterscheibe, und die riesige Weltkugel flog auf mich zu. Ich konnte sie sehen. Sie flog durch die Dunkelheit, traf meinen Kopf und blieb auf ihm stecken. 21
    Doch ich starb nicht dabei, wie ich es im ersten Schreck dachte, sondern jemand knipste das Licht an, und ich saß auf dem Bett. Ich starrte durch einen Riss in der Hülle des Globus, der – zähnegezackt – von Madagaskar durch Afrika bis nach Tortuga verlief, und sah meinen Vater in der Tür. Er stand dort, als hätte er den Globus geschossen, und als ich den wilden Blick in seinen Augen sah, wusste ich, was ich tun musste.
    Ich sprang aus dem Bett, rannte aus meinem Zimmer, hinaus in den Garten, packte mein Fahrrad und fuhr – den Globus immer noch auf dem Kopf – zur Ruine von Camelot, kletterte dort in den höchsten Turm und blies in das Horn, um die Kerle zu rufen.

DIE WIEDERGEBURT
    Ich saß in der staubigen Halle unseres einstmals so stolzen Baumhauses unter dem von Nervs Sturz zerborstenen Dach und hörte das Zwitschern der Vögel, die den Morgen begrüßten. Das Schwarz des Himmels verblasste. Ich spürte den Wind, der das Leben entfachte, als wär es eine fast schon erloschene Glut, und mit diesem Wind kletterte ein Kerl nach dem anderen fröstelnd zu mir ins Baumhaus hinauf.
    Sie sagten kein Wort. Ihre Blicke waren so finster wie ihr düsteres Schweigen, und sie schauten mich alle feindselig an. Doch sie setzten sich trotzdem um den Amboss, das uralte Holzfass, das ich in der Mitte aufgestellt hatte, und warteten darauf, was passierte. Obwohl sie mich hassten, warteten sie. Denn obwohl sie mich hassten, war ich doch die einzige Hoffnung, die es noch gab, um uns vor dem Ratten-Michi zu retten.
    Deshalb stand ich jetzt auf. Ich zog die Spielerverträge aus dem Holzfass. Die Spielerverträge, in

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