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2.02 Der fluesternde Riese

2.02 Der fluesternde Riese

Titel: 2.02 Der fluesternde Riese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Masannek
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so etwas wie ein Zuhause für mich war, war der Teufelstopf . Der Hexenkessel. Das Schlachtfeld der wildesten Mannschaft der Welt.
    Dort fuhren wir hin, und auf der Kuppe des Hügels vor dem eingefallenen Tor bat ich April zu halten. Ich nickte ihr zu, um mich zu bedanken, und dann ging ich wortlos in die Ruine. Ich stellte mich auf den Anstoßpunkt. Ich ließ meinen Blick über den Holzzaun schweifen und sah auf den windschiefen Planken noch einmal den Wilde-Kerle-Film:
    Das Spiel gegen Michi und seine Unbesiegbaren Sieger . 39 Das erste Training mit Vanessa, an dessen Ende das damals für uns noch ganz fremde Mädchen heulend und verzweifelt am Boden lag. 40 Das erste Spiel unter der Baustrahlerflutlichtanlage, mit der Willi den bis dahin stinknormalen Bolzplatz für uns in den Teufelstopf verwandelt hatte, und Julis Sternfunkenschnuppenschuss, mit dem er das Unentschieden rettete. 41
    Ich sah Vanessa und mich über den Bretterzaun tanzen. 42 Das war doch erst vor zwei Wochen gewesen. Wir hatten den Lancelot-Test hoch zwei bestanden. Ich sah ihre lachenden schwarzen Augen, die meine Sorgen vertreiben wollten. Doch dann tanzten Schatten über dieses Lachen hinweg. Schatten von Baumstämmen, die vor Feuern tanzten – vor biestigen Feuern –, und die verwandelten ihre schwarzen Augen in Fabis schwarzes Verräterzelt.
    Ich schaute zum Hügel.
    April war fort.
    Ich war endlich allein.
    Ich zog mein Notizbuch aus der Tasche heraus. Mein heiliges Buch mit all den in unzähligen Zeichnungen festgehaltenen Erinnerungen. Ich riss ein Blatt nach dem andern heraus und sackte ganz langsam auf meine Knie.

EINFACH NUR ANGST
    Ich lag auf dem sandigen Boden. Die Zeit schien zu stehen und gleichzeitig wie Sand durch meine Finger zu rinnen. Ich konnte nicht schlafen. Nicht denken. Nicht träumen. Ich sah nur den Wind, der Staubkörner aufwirbelte und die herausgerissenen Seiten aus meinem Notizbuch durch den Teufelstopf blies.
    Sie wirbelten kreisförmig um mich herum. Sie machten mich schwindelig. So lang, bis ich glaubte, mich selber zu drehen. Ich krallte die Finger in den sandigen Boden. Ich schloss meine Augen, und bevor mir ganz schlecht und übel wurde, begann ich zu schluchzen.
    Ich schluchzte so schamlos und laut wie noch nie. Ich heulte und schrie, bis meine Tränen versiegten. Bis meine Stimme verstummte … und dann irgendwann, nach einer endlosen Zeit, schlief ich ein.
    Ich weiß nicht wie lange. Ich fiel wie ein Stein. Ich wurde schwerer und schwerer, und irgendwann erreichte ich den Grund. Den Grund eines Meeres, und dort vergrub ich mich im schlammigen Sand.
    Milbenhelmige Schwestern von Valas! 43 Ich hatte gewonnen. Ich hatte die Trauer endlich besiegt. Der Schmerz war verschwunden und wich einem Nichts: einem wunderbar angenehmen und komfortablen Nichts.
    Da hörte ich seine näselnde Stimme.
    „Warum?“, fragte sie, und als ich nicht antwortete, stieß er mich mit seiner Schuhspitze an. „Hey! Marlon, warum?“
    Ich schaute nach oben und entdeckte die fast kreisrunde Silhouette, die ein Loch in den Sternenhimmel schnitt. Der Kerl, der da vor mir stand, schien ein Fettmops zu sein. Doch auf seinen runden und mächtigen Schultern saß nur ein erbsen-großer Kopf. Und als er sich ächzend und stöhnend bückte, lugte eins seiner Augen unter der viel zu großen Baseballkappe durch das Loch am Verschluss auf mich herab.
    „Mhm. Eigentlich wollte Dings Dilli kommen. Ich mein euren Bahm, hihi, den Ex-Motivator.“ Er kräuselte seine Schlangennase und spuckte dabei Kautabak aus. „Aber den hast du ja in die Pampa gebängt. Ich mein, verdingst und, hoho, verjagt und mit Flüchen behagelt.“
    Er biss ein neues Stück Tabak ab.
    „Und Hadschi und Edgar dingsen kein Deutsch. Ich mein, sie können dir nicht vernünftig verklickern, wie man aus dieser Bäng-Buhm-Bahm …“, er wirbelte mit den Armen herum, obwohl sie in zwei Dutzend Mänteln steckten, „ … wie man aus dieser verdingsten und schleimigen Oh-du-weißt-schon-wovon-ich-rede wieder herauskommt.“ Er hielt sich die Nase zu, als würde ich stinken. „Huh pfui! Und das wird verdingst noch mal Zeit.“
    Billi, der Klapperschlangen-Flugzeugpropeller-Mann, drehte seine Kappe einmal um den Kopf, wobei er seine Segelohren als Schienen benutzte, und tippte sich dann mit dem riesigen Zeigefinger gegen die Stirn.
    „Aber ich habe Dings. Genau. Und zwar mindestens einen ganzen Eimer von dieser, hihi, grauen Masse. Hier oben drin.“ Er klopfte, als würde ich

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