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2030 - Chimaerenblut

2030 - Chimaerenblut

Titel: 2030 - Chimaerenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Twin , Mo Twin
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antwortete er nicht mehr auf ihre Anrufe. Sie konnte ihre Tränen plötzlich nicht mehr zurückhalten. Kathi legte einen Arm um ihre Freundin und weinte mit.
    Ein schwarzer Mercedes fuhr am Anleger vor. Ein Bestatter stieg aus, öffnete den Kofferraum und reichte dem Kapitän eine Urne. Er ging zurück und holte eine zweite Urne.
    Kathi kaute an einem Stück Ärmelsaum. Josi zog ihre schwarze Sweatshirt-Jacke unwillkürlich enger.
    »Wir müssen«, sagte ihr Vater und stand auf. Er drückte der Kellnerin einen Schein in die Hand.

     
    An Bord reichte ihnen der Kapitän förmlich die Hand. Ein Mann im feinen Zwirn versuchte ein Lächeln. Er begrüßte Josi und Kathi, dann Josis Vater. »Mein Beileid.«
    »Ganz meinerseits«, murmelte Garden förmlich.
    Kurz darauf verließ das Schiff die Anlegestelle und steuerte entlang der Trave auf die Ostsee zu. Hinter dem Anleger der kleinen Sportboote lag im nebligen Dunst der Strand, dahinter die Lübecker Bucht. Möwen stürzten sich unter Kreischen auf einen dunkelgrauen Sack, der wenige Fuß vom Ufer entfernt auf einer Sandbank gestrandet war. Ihr Rufen scholl über die graue See und zog Scharen weiterer Jäger an.
    Josi spähte hinüber, doch sie konnte das Treibgut nur undeutlich erkennen. Sie vermutete eine tote Robbe und meinte den aufgedunsenen Bauch zu erkennen. Braune Algen, die entfernt an Haare erinnerten, schienen sich dort verfangen zu haben. Das Boot nahm Fahrt auf. Als die Möwen zu kleinen Punkten am Horizont geschrumpft waren, begann ihr Vater mit dem anderen Trauergast ein knappes Gespräch.
    Der Mann stellte sich als Doktor Antall vor.
    »Ein seltener Name. Sind Sie mit dem ehemaligen Leiter der Abteilung für Chimären-Diagnostik an der Charité Berlin verwandt?«, fragte Thomas Garden.
    »So ist es. Ich bin sein Sohn. Mein Vater starb letzten Monat an einem Herzinfarkt.«
    Josi konnte sich noch gut an den weißhaarigen Professor erinnern, der sie als einer der ersten an der Klinik vor fünf Jahren untersucht hatte. Aber dann war er in Rente gegangen, was sie sehr bedauerte, denn sein Nachfolger nahm sich keine Zeit für sie. Er blätterte damals nur kurz durch die Krankenakte, murmelte Wörter, die sie nicht verstand und verordnete eine weitere Packung » Chimax «. Professor Antall hingegen hatte immer mit ihr gescherzt, er hatte ihr »ganz im Vertrauen« Witze über Lehrer erzählt, die sie »unbedingt für sich behalten« sollte.
    Josi war damals erst zwölf Jahre alt gewesen und voller Angst, was mit ihr geschah. Sie musste die Pubertät verarbeiten, die ewigen Streitereien ihrer Eltern, wer die Schuld hatte, dass sie beinahe an der Großen Influenza gestorben war. Dann die Folgen der Impfung. Erst hatte sie Angst, die Halsfisteln könnten Krebs sein, schließlich die Entwarnung und dann die Katastrophe: Fisch-Chimäre. Professor Antall hatte ihr ein wenig von der Panik genommen und sie zum Lachen gebracht. Er hatte sie für kurze Momente ihre Not vergessen lassen. Josi schluckte. Ist das schon so lange her? Hatte ich überhaupt eine Kindheit?
    »Und Sie? Auch Arzt?«, fragte ihr Vater. Sein spitzer Unterton erinnerte sie an die Telefonate mit ihrer Mutter.
    »Ja, aber nicht im behüteten Berlin. T-o-k-i-o!«
    Bevor sie das Gespräch auf die Strahlenopfer der Erdbeben- und Reaktorkatastrophe von 2011 vertiefen konnten, erreichten sie ihr Ziel.
    Die Männer der Besatzung stellten sich in einer Reihe auf. Der Kapitän trug ein Gedicht von Theodor Storm vor, dann befestigte ein Besatzungsmitglied die Urne mit der Asche an einem Tampen und ließ sie langsam ins Meer gleiten. Die Urne schwamm einen Moment, rutschte vom Haken ab und sank, sandbeschwert wie sie war, sofort in die Tiefe. Die zweite Urne folgte.
    Der Kapitän nickte Josi und Kathi zu. Sie warfen gefaltete Papierfiguren ins Meer: Schmetterlinge und Delfine. Die Origamifiguren trieben wie Blüten auf den Wellen, bevor sie in die Tiefe hinabsanken. Das Schiff drehte die übliche Ehrenrunde um das nasse Grab. Drei lange Signaltöne leiteten die Rückfahrt ein.
    »Sind Sie aus Travemünde oder aus Lübeck?«, fragte Antall, offensichtlich mit hartnäckigem Bemühen, ein Gespräch zu beginnen.
    »Nichts dergleichen. Berlin«, antwortete Thomas Garden mit mürrischem Tonfall, der Josi aufhorchen ließ.
    »Wie ist Berlin denn so, kann man sich dort wohlfühlen?«
    »Sie sind nicht allzu oft dort gewesen?«
    »Meine Eltern sind dort hingezogen, als ich mit dem Studium in Japan begann. Aber es ging mir

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