2030 - Chimaerenblut
zitieren, dann können wir gerne darüber reden. Kommen Sie vorbei und bringen Sie die Haarprobe mit. Sagen wir in einer Stunde?«
Antalls Arbeitszimmer war nüchtern eingerichtet. Weiße Möbel. Weiße Wände. Umso deutlicher schoben sich die Gläser mit den konservierten Organen und missgebildeten Föten in den Blick. Thomas Garden versuchte an dem Glas vorbei zu sehen, in dem ein zu früh geborenes Kind mit zusammengewachsenen Beinen schwebte. Der Anblick der Sirenomelie war für ihn nur schwer zu ertragen. Zu groß war seine Angst Josis Fisch-Gene könnten sie jemals so weit verändern.
»Tier-Chimären mit menschlichen Zellen und Organen gibt es bereits seit dreißig Jahren.« Anteil zeigte auf verschiedene Gläser mit Organen. »Wo wäre die Medizin ohne Herzklappen aus Schweinen. Die Leber dagegen ist zu komplex. Nun ja, das wissen Sie vermutlich.« Er sah Thomas Garden erwartungsvoll an. »Worüber wollten Sie mit mir reden?«
»Huhn-Fisch-Chimären? Kann da etwas dran sein?«
»Aber natürlich. Die Hühner werden zu Chimären durch ein neues Virus, nennen wir es der Einfachheit halber Fisch-Virus. Das müssen Sie sich so vorstellen: Viren werden als Gen-Fähren genutzt. Das ist an sich nichts Neues. Nur sollten sie normalerweise gesunde Gene in den menschlichen Körper einschleusen oder Gene, die Krebszellen vernichten. Was auch immer die Viren in den menschlichen oder tierischen Organismus einschleusen, es sollte im Labor ausreichend getestet sein und Heilungszwecken dienen.«
»Reden wir nicht um den heißen Brei. Es ist doch offensichtlich, wenn Hühner zu Fisch-Huhn-Chimären gemacht werden, geht es um die industrielle Ausbeutung von Tieren, genau genommen um die Erhöhung der Eierausbeute und nicht um medizinische Heilungsmethoden.«
Antall legte die Fingerspitzen gegeneinander. »Und dieser Prozess hat schon viel früher begonnen. Masthühner werden beispielsweise schon seit Jahrzehnten genetisch manipuliert, damit sie innerhalb von vier Wochen Schlachtreife bekommen und Fleisch ansetzen. Ihr Knochenbau kann das Gewicht nicht halten. Das interessiert Verbraucher und Gesetzgeber aber nicht. Wo bitteschön ist die Grenze, ob nun die Fleischausbeute erhöht wird oder die Eierausbeute?«
Mit so offenen Worten hatte Thomas Garden nicht gerechnet. Seine Antwort kam hastig. »Neu ist doch wohl die Dreistigkeit, diese Viren außerhalb geschützter Labors im freien Feldversuch zu testen.«
Antall nickte. »Für so etwas würde niemand eine Genehmigung bekommen.«
»Können sich Menschen anstecken? Kann das Virus die Artengrenze überspringen? Zum Beispiel vom Huhn zum Menschen?«
»Ich schätze, jetzt sind wir wieder bei Ihrer Tochter? Lassen Sie mich die Haarproben analysieren. Vermutlich kann ich Sie beruhigen.«
32
Donnerstag, 23. Mai, Chicago:
Josi saß auf der Bettkante und berührte mit zitternden Fingern die dünne Haut zwischen den Zehen. Über Nacht waren Schwimmhäute gewachsen. Die Haut schimmerte rosig und halbdurchsichtig.
Hilfe, ich habe Flossen.
Sie humpelte ins Bad, krallte sich am Waschbecken fest und heulte, bis sie sich übergeben musste. Die Wände schienen zu verblassen. Ein dumpfes Rauschen legte sich auf ihre Ohren. Für einen Moment verlor sie das Gleichgewicht und schaffte es gerade noch rechtzeitig, sich auf den Badewannenrand zu setzen. Sie blickte zu ihren Füßen, während ihr Magen schon wieder rebellierte. Es war nicht zu übersehen, sie hatte Schwimmhäute.
Weinend schlich sie in ihr Bett zurück und zog die Decke über den Kopf. Niemand würde sie heute vermissen. Sie würde einfach liegenbleiben und hoffen, irgendwann aus diesem Albtraum aufzuwachen, ging es ihr durch den Kopf.
Seit ihrem Streit hatte Ethan kein Wort mehr mit ihr geredet. Mit blassem Gesicht hatte er gezahlt und war zurückgefahren. Ethans Vater war auf Dienstreise, und Hillary Hilden besuchte mit den Kindern eine Freundin.
Josi schluchzte in ihr Kopfkissen und hörte wie im Nebel den Motor des Lamborghini aufheulen, als Ethan das Anwesen verließ, um zur Uni zu fahren.
Vielleicht stimmt etwas mit meinen Hormonen nicht. Ein neuer Wachstumsschub? Ich bin siebzehn. Unmöglich, dachte sie. Es muss etwas Ernstes sein, etwas ganz Fürchterliches.
Es gab keinen Ausweg. Sie brauchte einen Arzt. Weinend griff sie nach ihrem Kommunikator und suchte im SWeb einen auf Chimären-Krankheiten spezialisierten Hausarzt. Sie bettelte um einen kurzfristigen Termin und gab notgedrungen die
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