2030 - Chimaerenblut
und kam damit zurück. Dann setzte er sich auf die Kante. »Ich muss mit dir reden.«
»Da bin ich aber gespannt. Willst du mich zum Hochseeangeln mitnehmen?«
Sieht er nicht, wie verweint ich bin?
»Josi, red keinen Quatsch.«
»Was willst du dann?«
»Ich bin wütend und enttäuscht.«
»Tut mir leid, wenn ich deinen Ansprüchen nicht genüge. Aber auf mich gibt es keine Garantie. Ich bin kein Schmuckstück, das du irgendwo kaufen kannst.«
»Was denkst du nur von mir ? Zufällig studiere ich Jura, weil ich Menschen helfen möchte, auch Menschen, die Chimären sind. Ich urteile nicht vorschnell. Du hättest es mir sagen müssen.
»Es hätte nichts geändert.«
»Doch. Du hast mir nicht vertraut. Das ändert eine Menge.«
»Einspruch!«
»Ich höre!« Ethan zog eine Augenbraue hoch.
»Bist du schon mal in der U-Bahn angegafft oder angerempelt worden? Ich vergaß, du bist noch nie U-Bahn gefahren. Hast du erlebt, wie es ist, Angst zu haben, weil dir ein Kerl auf den Hals starrt und dabei grinsend mit dem Klappmesser spielt? Chimäre! Du weißt gar nicht, wie gehässig man das Wort aussprechen kann. Vor dir hat noch nie jemand ausgespuckt. Du bist nicht jahrelang von Arzt zu Arzt gerannt, immer die mitleidigen Blicke und hinter deinem Rücken das Getuschel.«
»Ach, soll ich jetzt die Schuld bekommen, weil deine Kindheit nicht so toll war? Ethan griff nach ihrer Hand. »Wenn du so Komplexe wegen der paar Striche am Hals hast, warum lässt du sie dir nicht einfach wegmachen?«
»Das ist wieder typisch. Eine Schönheits-OP und alles ist paletti. Du solltest es doch besser wissen. Ich bin eine Haifisch-Chimäre, egal ob mit oder ohne Kiemen. Und bald bin ich ein Mensch zweiter Klasse!«
»So ist es nicht. Für dich wird sich nichts ändern. Solange du keine Hormone nimmst, bleibst du wie du bist.«
Josi schloss die Augen. Tränen quollen ihr erneut unter den Wimpern hervor.
Du hast nicht die geringste Ahnung. Genau das ist nicht mehr sicher.
Sie spürte, wie er sanft mit dem Finger eine Träne fortwischte.
»Frieden?«
Sie presste die Antwort zwischen den Zähnen hervor. »Meinetwegen.«
»Darf ich?«
»Was?«
»Die Kiemen sehen?«
»Spinnst du?«
»War dumm von mir. Geht mich nichts an.« Mit einer abwehrenden Handbewegung erhob er sich.
»Warte, Ethan! Ich brauche deine Hilfe. Kathi ist verschwunden. Ich muss zu ihrer WG.«
»Sie ist eine Katzen-Chimäre! Sind die nicht häufiger für eine Weile fort und tauchen dann wieder auf? Oder sind das auch nur wieder Vorurteile?«
»Wir reden hier von Kathi. Sie ist ein Mensch! Sie braucht mich. Dringend.«
»Honey, ich fahr dich!«
Cindy öffnete die Tür. »Ihr sucht Kathi? Wir auch.« Sie klang genervt. »Ich hab ihr den Job im Burger-Eck klar gemacht. Und dann ist sie ohne ein Wort abgehauen. Sendepause. Sie hätte heute arbeiten sollen. Der Laden war brechend voll.«
Josi und Ethan betraten Kathis Zimmer. Röcke, Blusen und T-Shirts lagen auf dem Bett verteilt und machten den Eindruck, jemand konnte sich nicht entscheiden. Auf dem Tisch lagen Zettel mit Stellenanzeigen, manche waren abgehakt, andere durchgestrichen.
»Schau in die Schubladen! Du bist ihre Freundin«, befahl Ethan.
In den Schubladen lagen Modeschmuck, Kosmetikartikel, Schnittmuster, Nähgarn und in einer Kiste ein Sammelsurium aus verschiedenen Stoffen.
»Nichts? Kein Tagebuch?«
»Doch.«
»Worauf wartest du? Schlag es auf und lies.«
»Das kann ich nicht machen.«
»Wovor hast du Angst? Etwas Schlechtes über dich zu lesen? Dass sie sich einsam gefühlt hat und du nicht für sie da warst? Schau nach und vergiss es gleich wieder.«
Seine Abgebrühtheit verblüffte Josi. Zögernd griff sie nach dem Tagebuch. »Ich fange von hinten an. Vielleicht finde ich gleich einen Hinweis.«
Im Tagebuch standen nur spärliche Einträge seit Kathis Ankunft in Chicago. Ethans Annahme stimmte, sie beschwerte sich bitter über Josi. Und sie war verzweifelt, weil sie keinen Job in der Modebranche bekam. Der Eintrag vom Montag lautete: »Treffe mich morgen mit Harry. Vielleicht gilt sein Angebot noch, dann geh ich nach New York.«
Entsetzt ließ Josi das Buch sinken.
»Harry?« Ethan schmunzelte. »Da hoffe ich für Kathi, dass wir Dirty Harry suchen und nicht den Skorpion. Wie heißt dieser Harry denn mit Nachnamen?«
»Keine Ahnung. O Mann. Der Typ stinkt. Ich sag es dir. Ein totaler Spinner und Angeber, so ein schmieriger Zuhältertyp. Warum hat Kathi das nicht
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