2030 - Chimaerenblut
gesehen?«
»Weil sie es nicht sehen wollte? Sie hat offensichtlich auf ihn gesetzt. War blind, das Übliche…«
»Du hast gut reden. Wenn du so nett bist, wie du vorgibst, warum hast du ihr dann nicht geholfen? Du hättest bestimmt Möglichkeiten gehabt.«
Ethan tippte sich an die Schläfe. »Ich bin nicht der heilige Samariter. Und so langsam gehst du mir mit deinen Vorwürfen auf den Geist. Jeder ist für sich selbst verantwortlich.«
33
Freitag, 24. Mai, Regierungssitz Berlin, Unter den Linden:
Gesundheitsminister Han Müller warf eine Brausetablette ins Wasserglas und schaute zu wie sich das Schmerzmittel auflöste. Er fasste sich in die dichten braunen Haare, als wollte er sie in Büscheln vom Kopf reißen.
Das Telefon läutete schrill. Han Müller zuckte zusammen und drückte die Freisprechanlage. Der Cluster-Kopfschmerz hämmerte gegen seine Schädeldecke.
»Ja«, presste er hervor.
»Han, mit dem Gesetzesentwurf darf nichts schiefgehen. Wir müssen das hieb- und stichfest haben. Kann ich mit dir die Einzelheiten für meine Rede am Montag durchsprechen. Unter vier Augen. Sagen wir in einer halben Stunde?«
Han Müller blickte ungeduldig auf die sprudelnde Tablette und antwortete dem Innenminister. »Wolf, ich komme gleich rüber.«
»Warte! Han.«
»Ja.«
»Bring den Vorgang FlashAC mit.«
Han Müller stöhnte innerlich auf.
Seine Sekretärin Helena Schimmel öffnete die Tür und legte die Unterschriftenmappe auf den Tisch.
»Ärger?«
Er konnte ihr nichts vormachen. Sie schien ihn besser zu kennen als seine Gattin.
»Die Idioten von FlashAC spucken uns schon wieder in die Suppe«, brummte er. »Such die Akte FlashAC raus!«
Helena Schimmel zog eine Augenbraue hoch und strich die Jacke ihres dunkelblauen Hosenanzugs glatt.
» FlashAC ? Was ist denn schon wieder mit den Aktivisten? Han, wenn ich für dich arbeiten soll, musst du dir angewöhnen, mir auch das zu sagen, was in keiner Aktennotiz steht. Von mir aus auch abends bei einem Glas Wein.« Sie zwinkerte ihm zu.
» FlashAC behauptet, es gäbe heimlich Versuche mit gefährlichen Chimären-Viren. Mitten in Deutschland. So was können wir jetzt gar nicht gebrauchen. Das Vertrauen des Bürgers in den Rechtsstaat muss gewahrt bleiben.«
»Und? Stimmt das?«
»Was?«
»Das, was FlashAC behauptet.«
Er zuckte mit den Schultern. »Bislang gibt es keine Beweise. Und der Polizeipräsident wird so schnell auch keine finden.«
»Warum?«
»Weil der einzige Beweis abgebrannt und der Täter, Leon Blanc, flüchtig ist.«
Sie presste die Lippen aufeinander und blickte zur Decke.
»Was?« Seine Stimme klang schärfer, als er beabsichtigt hatte.
» FlashAC hat viele Sympathiepunkte in der Bevölkerung.«
»Ich weiß. Wem sagst du das?«
Sie schwieg.
»Nun sag schon, was du denkst.« Han Müller griff nach dem Glas und leerte es in einem Zug.
»Han, in fast jeder Familie gibt es Chimären. Die Menschen haben Angst vor einer neuen Pandemie. Da glauben sie jedes Gerücht. Sie sagen, die Regierung sei zu schwach und müsste Unternehmer wie den Wilmershofen härter angehen.«
»Blödsinn. Wilmershofen ist tot.«
»Ich weiß. Aber das ist das nächste Problem. Man munkelt, die Regierung könne gegen die Virenmafia nicht richtig durchgreifen.«
»Das ist wieder Blödsinn. Es gibt keine Virenmafia. Ich buchstabiere es auch gerne. Es gibt k-e-i-n-e Virenmafia.« Han Müller massierte seine Schläfen und spürte, wie das Schmerzmittel zu wirken begann. Das pochende Klopfen wich jetzt einem dumpfen Schmerz.
Wortlos ergriff seine Sekretärin das leere Glas. Er schätzte vor allem ihr Gespür für die Stimmungen im Land. Er horchte sie aus. Doch was er wirklich dachte, behielt er für sich.
Wir müssen künftig noch härter durchgreifen , ging es ihm durch den Kopf. Wir brauchen den Mörder von Wilmershofen , um die Spekulationen um seine Hühnerfabrik zu beenden. Wenn sich herausstellt, dass dieser Aktivist Blanc ein Mörder ist, der nur seine tote Schwester rächen wollte, dann wird sich die Angelegenheit von alleine beruhigen. Es dürfen auf keinen Fall weitere Beweise für Viren-Gerüchte auftauchen. In der Bevölkerung darf nicht der Verdacht aufkommen, jeder könnte zur Chimäre werden. Wir müssen jetzt als erstes das Chimären-Gesetz ohne Aufsehen durchwinken. Die nationale Sicherheit geht vor. Unsere Kinder werden es uns danken, wenn wir die Welt nicht den Chimären überlassen. Chimären haben tierische Instinkte, und niemand weiß
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