2030 - Chimaerenblut
welche. Solchen Geschöpfen können wir nicht unsere Staatsangelegenheiten überlassen. Chimären müssen von bestimmten Berufsgruppen ausgeschlossen werden. Chimären dürfen keine Polizisten werden und keine Richter. Sie dürfen keine Behördenleitungen übernehmen und keine verantwortungsvollen Ämter bekleiden…
»Du siehst nicht gut aus«, sagte Helena Schimmel und unterbrach seine Gedanken.
»Danke, es geht schon wieder. Ich gehe jetzt zum Innenminister rüber. Ach noch was, mach uns für morgen einen Termin mit dem Polizeipräsidenten.«
»Morgen früh fliegst du auf den Gesundheits-Kongress zur Lage der Chimären nach Australien. Die Flugtickets und die Pin für die Abstimmung im Bundestag liegen in deinem Safe bereit.«
»Dann noch heute Abend. Das kann nicht warten.«
Han Müller stand vor der Tür des Innenministers und registrierte erleichtert, dass seine Kopfschmerzen langsam nachließen. Wolf Knoblochs Sekretärin führte ihn in das lichtdurchflutete, riesige Büro.
»Da bist du ja.« Innenminister Knobloch erhob sich, um Han Müller die Hand zu schütteln. »Geht es dir nicht gut?«
»Nur ein lästiger Kopfschmerz.« Müller setzte sich in den Ledersessel und blickte auf den Schreibtisch. »Ist das die Rede?«
»Ja.«
»Schwieriges Thema.«
»Deshalb muss jedes Wort sitzen.«
»Wem sagst du das?«
»Schon gut.« Wolf Knobloch schob die Rede zu Han Müller rüber. »Das Chimären-Gesetz darf uns nicht in letzter Minute kippen.«
»Ich weiß, wenn der Anteil an Chimären durch ein neues Virus in der Bevölkerung steigt, bekommt die Opposition noch mehr Anhänger…«
34
Freitag, 24. Mai, Chicago:
»Kiki, du erstickst, wenn du das machst. Hast du nicht gehört? K-i-k-i. Nicht die Plastiktüte über den Kopf stülpen. Und Serafina, geh nicht so dicht an den Pool!« Josi massierte sich mit den Fingerspitzen die Stirn. Sie hatte die Füße in Turnschuhe gequetscht und beschlossen so wenig wie möglich an die Schwimmhäute zwischen ihren Zehen zu denken.
Als die Nanny endlich am späten Nachmittag auftauchte, um die Zwillinge zu betreuen, lagen Josis Nerven blank.
Wo war Kathi?
Josi hastete auf ihr Zimmer und fragte die Nachrichten ab. Ihr Stiefvater hatte geschrieben. »Falls ich deine Gefühle verletzt habe, tut es mir leid, aber du solltest auch etwas Dankbarkeit zeigen und gegenseitigen Respekt !«
So ein Heuchler, dachte sie und löschte die Korrespondenz. Sie blätterte weiter. Spam blockierte ihr Postfach: Aufpoppende Icons, Short-Songs, Zehn-Sekunden-Trailer. Mit dem Touchpen drückte sie die Werbung weg. Ein Newsletter kam von der Schule, und zwei ehemalige Klassenkameradinnen hatten sich gemeldet.
Da! Endlich eine Nachricht von Kathi.
»bin in vegas verpackt, job roch un klag – katzen linden immer zurück! Kathi«
»Scheiß automatische Korrektur!«, fluchte Josi. Stand Kathi unter Drogen oder war sie auf einer Party mit schummrigem Licht und fand die Tasten nicht? Und wieso war sie in Vegas und nicht in New York? Josi hielt die Luft an, ihre Kiemen stellten sich schmerzhaft auf. Sie wählte Kathis Nummer. Der Ruf ging durch, aber niemand nahm ab. Dann wechselte sie in den Sprach-Suchmodus und diktierte »Las Vegas«, um sich einen Überblick zu verschaffen. Sie überflog die Texte und bekam einen weiteren Anfall von Panik. Die Stadt lebte vom Zocker-Tourismus. Die einstige Glitzer-Metropole hatte inzwischen den Spitznamen »Lost Vegas«. Wer dort arbeitete, war hoch verschuldet, schuftete in einem der zahlreichen Ein-Dollar-Jobs oder landete in der Prostitution. In Vegas würde Kathi bestimmt nicht das schnelle Geld verdienen. Die Stadt wimmelte nur so von Kriminellen. In jüngster Zeit gab es Gerüchte um Mädchenhändlerringe, deren Hintermänner in Chicago, Miami und New York vermutet wurden.
Wo steckst du? Kathi...
Erneut wählte Josi die Nummer ihrer Freundin. Es klackte und Lärm aus einer Bar drang an ihr Ohr.
»Kathi?«
» Jeeeh «
»Kathi? Bist du das?«
Abrupt brachen die Geräusche ab. Josi versuchte es erneut, doch Kathi, oder wer auch immer den NanoC eingeschaltet hatte, meldete sich nicht mehr.
Hastig begann Josi ein paar Kleidungsstücke, Zahnbürste und Schminke in eine Sporttasche zu werfen, rief sich ein Taxi und lauschte in den Gang der Villa. Sie musste zu ihrer Freundin. Sofort!
Das Taxi hupte.
35
Chicago:
Der Beobachter Kratzer saß in einem für die Gegend gewöhnlichen Nullachtfünfzehn-BMW. Er hatte den Arm lässig auf den Holm des
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