204 - An Afras Ufern
beugte sich über die Lupa. »Gutes Fleisch?«, fragte er arglos.
Schnell nahm Wanja ihn beiseite und schob ihn vor sich her in die Küche.
Rulfans Gesicht wirkte grau, als er aus seiner Umhängetasche die Leine heraus kramte. Er band sie um Chiras Hals. »Dich werden diese Barbaren nicht essen!«, knurrte er.
Obwohl Matthew seinen Freund nur allzu gut verstand, machte er sich um die Lupa die geringste Sorge. Das Tier hatte in jedem Kiefer eine Doppelreihe messerscharfer Zähne und konnte ganz gut auf sich selbst aufpassen. Schon unzählige Male hatte sie ihrem Herrn das Leben gerettet!
Nein, ihn beschäftigte etwas ganz anderes. Seit sie in Kisaayo waren, hatte er das Gefühl, in einen diffusen Albtraum geraten zu sein, aus dem er nicht mehr herausfand. Es waren weniger die Leute dieser Stadt, die das bewirkten. Es war mehr dieses irreale Gefühl in ihm selbst.
Vielleicht war es die fehlende Erinnerung: nicht zu wissen, was auf der Schelm wirklich geschehen war. Vielleicht auch, dass sie bruchstückhaft in Träumen und Flashbacks zurückkehrte. Nach und nach ergab sich zwar daraus ein Bild, aber es war nicht vollständig.
Sein Blick fiel auf Rulfan, der gerade die Leine am Tischbein befestigte. Ob es seinem Freund wohl ähnlich ging?
Der Albino ahnte nichts von Matthews Gedanken. Er lehnte sich im Stuhl zurück und schaute sich um. »Wir scheinen die einzigen Gäste zu sein«, stellte er fest. »Offensichtlich ist es nicht nur dem Tribunal wichtig, dass wir auf so wenige Leute wie möglich treffen!«
Matthew runzelte die Stirn. »Wie meinst du das?«
»Wanja will uns übers Ohr hauen! Das meine ich.«
»Glaubst du, er steckt mit dem Geierkopf unter einer Decke?«, fragte Matt mit gedämpfter Stimme.
»Nein, den mag er genauso wenig wie wir. Aber er ist ein Schlitzohr und wird versuchen, Gewinn aus unserer Situation zu ziehen! Mein Vorschlag: Essen wir, und dann schnell weg hier. Möglichst mit dem Wüstenrouler.«
»Jetzt habt ihr aber lange genug gewartet!«, rief Daniell.
Strahlend kam er mit Wanja aus der Küche. Sie trugen Platten mit Fleisch und Gemüse, Obst und Käse vor sich her. Es duftete köstlich. Wanja hatte sich einige Flaschen Vodkaa unter den Arm geklemmt. »Trinken wir auf unsere Freiheit!«, lachte er.
Matt war zwar nicht zum Lachen zumute, aber er spielte mit. Sie stießen mit Wanja an und ließen es sich schmecken.
Immer wieder füllte Daniell die Gläser. Matt und Rulfan nahmen nur kleine Schlucke. Den Rest schütteten sie heimlich unter den Tisch.
Als sie gegessen hatten, prostete Rulfan Wanja zu. »Wie sieht es aus, alter Freund? Steht der sagenhafte Rouler schon vor der Tür?«, fragte er fröhlich. Zu fröhlich, fand Matt. Wenn er sich nicht irrte, hatte sein Freund etwas zu oft an dem Vodkaa genippt.
Wanja beugte sich vertraulich nach vorne. »Sicher, mein weißhaariges Brüderchen, sicher«, erwiderte er mit tiefem Bass. »Aber was ist mit der Kleinigkeit, die er kosten soll?«
»Wie viel war das noch mal?«, lallte Rulfan.
Wanja wiegte den Kopf. »Ich dachte so an drei Tage. Drei Tage für mich arbeiten und der Rouler gehört euch!« Er schaute Rulfan und Matt erwartungsvoll an. »Und, was sagt ihr? Drei Tage für eine Wundermaschine, die euch ruckzuck an den Victoriasee bringt. Ist doch nicht zu viel verlangt! Oder?«
Matt beugte sich über den Tisch. »Sagtest du nicht vorhin etwas von einem Tag?« Er merkte, wie leicht sich sein Kopf anfühlte. Ein wohliges Gefühl durchzog seinen Körper. Leises Summen ertönte in seinen Ohren.
War es nicht eigentlich egal, wie viele Tage sie für Wanja arbeiten sollten? Ob sie heute oder morgen oder erst übermorgen von hier weg kamen?
»Schenk mir noch Vodkaa ein, Wanja«, hörte er sich lallen.
Auf der anderen Seite des Tisches sah er Rulfan: Dessen Kopf lag auf der Tischplatte. Schlief sein Freund etwa?
Egal… Er setzte sein Glas an die Lippen. Daniells und Wanjas Grinsen verschwammen vor seinen Augen. Er hörte noch, wie Glas zersprang, dann wurde es schwarz um ihn. So schwarz wie die Haut von Ohnzung und Tashoo.
***
Die Schelm schaukelte müde auf dem Wasser. Seit den frühen Morgenstunden ging kein Wind; nicht das kleinste Lüftchen war zu spüren. Wie grünes Glas umgab das Meer das Schiff.
Rulfan lehnte mit dem Rücken gegen das reglose Ruder und starrte finster über die Heckreling. Neben ihm kämpfte Matthew mit den Seekarten, die ihn umgaben. »Wenn ich halbwegs richtig liege, muss die Küste ganz nah sein!« Er
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