206 - Unterirdisch
brummte Jarin. Missmutig folgte sie ihrer Anführerin durch das Dickicht. Sie war nicht sonderlich erpicht darauf, als Begleitung von Arah in die Siedlung zu reiten.
Barah ging es nicht anders. Aber sie schluckte ihren Ärger herunter. Die Führerinnen Nyarobys mussten zusammenhalten.
Der Bund der Drei durfte niemals auseinander brechen! So lautete die uralte Regel. Barah tröstete der Gedanke, dass noch vor dem nächsten Winter eine der Novizinnen die Nachfolge der Priesterin antreten würde. Solange mussten sie Arah ertragen.
Vor dem Dschungel schnaubten die Tsebras. Die Novizinnen waren verschwunden. Arah wartete ungeduldig auf dem Rücken eines der Tiere. Sie warf den Jägerinnen einen strengen Blick zu.
Barah versuchte sie nicht zu beachten, schwang sich auf ihr Tsebra und ritt einfach los. Die Sonne stand tief im Westen. Sie würden es noch vor Einbruch der Dämmerung schaffen, in die Siedlung zu kommen. Barah würde heute nicht im Ratshaus schlafen, sondern in dem Haus ihrer Mutter in der Nähe des Asyls. Kein Ort der Welt schien der Jägerin heute tröstlicher als der Esstisch im Atrium des kleinen Hauses. Erfüllt mit dem Plätschern des Springbrunnens, mit Suppenduft und der warmen Stimme ihrer Mutter.
Arah lenkte ihr Tier neben Barahs Tsebra. »Heute ist ein großer Tag, mein Kind! Die Göttin hat sich uns offenbart!«
»Wenn das Beben die Offenbarung der Göttin war, kann ich darauf verzichten!«, empörte sich hinter ihnen Jarin.
Auch Barah war erstaunt über die Worte der Priesterin, angesichts dessen, was geschehen war. Prüfend blickte sie zu Arah hinüber. In deren grauen Augen lag ein merkwürdiger Glanz. Ihr Gesicht schien zu lächeln, und sie sah jung aus. Sie schien ihre sechzig Winter in dem Felsengebilde am Spalt gelassen zu haben. »Was meinst du damit, Arah?«
»Zweifellos forderte das Beben Opfer von uns! Gleichzeitig schenkte es uns den Felsendom im Dschungel. Das ist die ausgleichende Gerechtigkeit der Götter.« Arah wandte sich um zu Jarin. »Nur Narren sind blind dafür!«, rief sie ihr zu.
Die schwergewichtige Jarin schnalzte mit der Zunge und drosselte das Tempo ihres Reittieres, um nicht länger das Unken der Priesterin hören zu müssen.
»Und was ist so besonders an dem Felsendom, wie du dieses steinerne Ungetüm nennst?« Barah ballte ungeduldig die Fäuste. Sie hoffte, Arah würde bald sagen, was sie zu sagen hatte, und sie dann in Ruhe lassen.
»Er ist der Eingang zu den Minen der Alten«, flüsterte Arah geheimnisvoll. »Er birgt den verschollenen Tempel Athikayas in sich! Verstehst du?« Verschwörerisch beugte sie sich zu Barah herüber.
Barah verstand! Wenn auch nicht so, wie Arah sich das vielleicht gewünscht hätte. Die junge Jägerin kannte die Geschichte der Alten und wusste auch von einem Tempel, der angeblich in diesen Minen lag. Aber sie dachte vor allem an die verschwundenen Jägerinnen. Sie erinnerte sich an die tunnelartigen Hohlräume, die sie unter den zerklüfteten Felsen entdeckt hatte. Vielleicht war es Gjorgis und Zgeweni ja doch gelungen, durch einen der Risse zu kriechen. Vielleicht an einer Stelle, an der sie heute nicht gesucht hatten…
Barah spürte, wie ihr Herz wild gegen ihre Brust schlug.
Möglicherweise irrten die Frauen durch die unterirdischen Gänge der Mine. »Wie tief warst du in dem Felsen?«, fragte sie Arah mit belegter Stimme.
»Keine zwanzig Schritte weit. Steintrümmer versperren den Zugang. Aber mit Hilfe der Woorms…«
Barah hörte nicht länger zu. Sie drückte ihre Fersen in die Flanken des Tsebras und preschte davon. Sie würde mit Spenza und einem Maelwoorm in den Dschungel zurückkehren.
***
Der Woorm schnaubte und wälzte sich dem Rand der Siedlung zu. Dort ragten Bambus und Papyrusstauden aus der Erde.
Dahinter neigte sich das Land in weichen Wellen hinunter zum Fluss.
Spenza sah in einiger Entfernung eine kleine Gruppe Menschen stadteinwärts ziehen. Vermutlich waren sie auf dem Weg zum Asyl. Carah hatte dort für Zelte und Essen gesorgt.
Die Überlebenden sollten in der kommenden Nacht nicht alleine sein. Über die Toten wurde bei den Enkaari nicht viel gesprochen. Sie waren jetzt im Reich der Götter. Das musste als Trost reichen.
Spenza seufzte. Er war froh, dass die beiden Frauen, die ihm alles bedeuteten, noch am Leben waren: Carah und Barah!
Mit der Stadtführerin teilte er seit dem letzten Winter immer mal wieder das Lager. In einer der Vollmondnächte hatte sie ihn zu ihrem Gefährten gewählt.
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