2071 - Der siebte Ritter
Rachen, seine Brust wölbte sich unter einem tiefen Atemzug. Startac und Trim hoben bereits die Arme, um sich die Ohren zuzuhalten. Das Wesen verharrte kurz, die Adern am Hals traten hervor und schwollen fast bis zum Platzen an. Jeden Moment würde den beiden Terranern das Blut gefrieren und das Trommelfell halb zerrissen werden unter dem ohrenbetäubenden Gebrüll, das jetzt sicher folgte. Trim Marath kannte das zu gut von seinem Kampf gegen Rembatta-O-E her. Im nächsten Moment schon würden die vergleichsweise Schwächlichen und Hilflosen starr vor Schreck darauf warten können, dass diese animalischen Geschöpfe sich voller Gier nach Blut auf sie stürzten.
Aber es kam nicht mehr als ein jämmerlich schrilles, eher klagendes Fiepen aus dem mörderischen Rachen. Ein absolut lächerlicher Ton im Vergleich zu dem schauerlichen Aussehen des Wesens. Nicht einmal mehr ein Abklatsch dessen, was die Vorfahren des Doppelgesichtigen einst von sich gegeben haben mochten. Startac und Trim waren so verdutzt, dass sie mitten in der Bewegung verharrten und mit offenem Mund starrten. In diesem Augenblick machte einer der beiden Blauhäutigen einige Schritte auf die Horde zu und hob gebieterisch die Arme. Die gefährlich aussehenden Wesen öffneten den Ring. Der Schreihals, sein Kontrahent und ein weiterer Löwenmähniger, dessen Haare bis über das Kinn hinabwucherten, drehten sich zu dem vergleichsweise winzigen Wesen um. Sie reckten die Köpfe nach vorne, zischten und fauchten.
Das engelsgleiche Wesen jedoch machte abweisende, verscheuchende Gesten, wagte sich sogar zwei Schritte weiter nach vorn. Und das Erstaunliche geschah. Die wilden Geschöpfe zogen sich zurück. Zuletzt ließen sich die drei, nachdem sie noch einmal widerwillig und halb angriffslustig gefiept und gezischt hatten, auf alle viere nieder und folgten ihren Artgenossen in schnellem Sprint. Bald waren sie im Unterholz verschwunden. Nur noch einmal hörten die beiden Monochrom-Mutanten ein schrilles Wehklagen. Die beiden Blauhäutigen wandten sich den Terranern zu. Derjenige, der sich den Löwenmähnigen entgegengestellt hatte, öffnete auf einmal den kleinen Mund. Seine Stimme klang glockenhell, als er mit ihnen sprach: „Ich bin Morgentau, und das ist Honigschwärmer. Diese drei Mundeenas sind Schnapp, Rauhbart und Brüller. Ihr braucht euch nicht weiter um sie zu kümmern, sie sind ungefährlich. Wenn man sie nicht reizt, sind sie nichts weiter als tumbe Geschöpfe, die sich von Pflanzen ernähren."
„Sie tun nur deshalb so wild, weil sie immer noch das Blut von Kriegern in sich tragen", fügte Honigschwärmer verachtungsvoll hinzu. Startac und Trim betrachteten ratlos ihre Armbänder. Die Translatoren reagierten nämlich überhaupt nicht - und dennoch verstanden die Terraner diese völlig fremde Sprache und auch die emotionale Färbung, als würden sie zuerst mit dem Verstand und dann mit den Ohren hören und nicht umgekehrt. „Wieso können wir euch verstehen?" ergriff Startac verwundert das Wort. „Der Wald gestattet es", antwortete Morgentau. „Kommt, er hat soeben den Eintritt erlaubt. Folgt uns!" Honigschwärmer schien zu merken, dass die bei den Mutanten zögerten. „Kommt nur, ihr braucht keine Angst zu haben", sagte er freundlich. „Hier kann euch nichts geschehen. Es ist der sicherste aller Orte, solange ihr willkommen seid. Und ihr werdet erwartet."
„Verstehst du das?" wisperte Trim seinem Freund zu. „Überhaupt nicht", flüsterte Startac zurück. „Aber vielleicht sollten wir tun, was sie sagen. Ich möchte diesen sogenannten Pflanzenfressern nicht noch einmal begegnen. Sie mögen ja normalerweise harmlos sein, aber auch uns gegenüber?"
„Außerdem finden wir nicht mehr den Weg hinaus", stimmte Trim zu. „Und hier war etwas Essbares, das uns nicht gleich vergiftet hat - also wird uns schon nichts geschehen."
Sie wurden tatsächlich erwartet. Vor den beiden staunenden jungen Menschen öffnete sich wie durch Zauberhand eine Lücke in der undurchdringlichen Pflanzenmauer; die Äste wichen so weit zurück, dass sie bequem nebeneinander hindurchschreiten konnten. Morgentau und Honigschwärmer gingen zuerst hindurch, gefolgt von ihren Gästen.
Innerhalb dieses Waldes war schlagartig alles anders. Still und seltsam heimelig wirkte es, alle Geräusche schienen auf ein Flüstern herabgesunken zu sein. Schmale Pfade wanden sich zwischen einem dichten Geflecht aus Büschen, niederen Pflanzen und mächtigen, uralten Bäumen hindurch.
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