208 - Nach der Eiszeit
US-Dollars müssen’s auch tun. Gilt der Deal?«
»Aber natürlich, Herr Direktor. Ich bin mehr als zufrieden.«
Als Mussa aus der Mittagspause kam, wunderte sie sich nicht schlecht: Die überdimensionierten Tsetses, die ihr fast vier Wochen lang Gesellschaft geleistet hatten, waren plötzlich weg. Nur die normal großen Exemplare schwirrten noch im Käfig umher oder saßen träge auf den Zweigen und Scheiben.
Schade, dachte sie und war fast ein wenig enttäuscht.
Insgeheim hatte sie nämlich gehofft, der Professor würde nicht mehr daran denken. Bei den überdimensionierten Exemplaren handelte es sich nämlich garantiert um Mutationen aus der Code-eins-Sektion, die ja neuerdings tagtäglich durch die Zeitungen und Fernsehsender geschmiert wurden. Interessanterweise waren die Tiere in den vergangenen vier Wochen noch einmal um rund ein Drittel gewachsen.
Nachmittags kamen die Inspektoren mitsamt einer geifernden Medienmeute. Sangaré zeigte sich äußerst gefasst, als die Versuchsreihen unter den Augen der Öffentlichkeit vernichtet wurden. Viel zu gefasst, wie Mussa fand. Denn der Professor war Wissenschaftler mit Leib und Seele, und gerade an diesem Projekt hatte er besonders gehangen.
Mussa konnte zum ersten Mal einen Blick in die streng geheime Code-eins-Sektion werfen. Die Medien waren eher schlecht informiert gewesen. Es verschlug ihr den Atem, als sie ein vierfach vergrößertes Exemplar mit fünf Köpfen und drei Leibern sah, alles grotesk ineinander verwachsen. Sangaré erzählte den Medien derweil, dass er sich bei der IAEA für umgehende Beendigung der Versuche eingesetzt und Wien sofort zugestimmt habe. Tatsächlich habe diese Versuchsreihe hier in Bamako das Ziel gehabt, die zum Teil auftretenden Erbgutveränderungen bei den Tsetses zu eliminieren. Dies sei aber nicht gelungen, und so habe man sich schon vor Monaten entschlossen, das Projekt verantwortungsvoll einzustellen.
In den nächsten Wochen sah Mussa den Professor nur noch selten. Und wenn, wirkte Sangaré völlig abwesend.
Im gleichen Maße stieg die wissenschaftliche Neugier der jungen Biologin. Sie war sicher, dass die Medienmeldungen, die »Horrorbrut von Bamako« sei vollkommen ausgelöscht worden, nicht der Wahrheit entsprachen. Nie und nimmer würde der Professor das Projekt, in das er so viel Herzblut gesteckt hatte, einfach so beenden. Außerdem wusste sie von einer guten Freundin in der Code-eins-Sektion, dass Sangaré auch dort nur noch in Einzelfällen vorbei schaute.
Wo hielt er sich also auf? Mussa, die immer dringender wissen wollte, welche Monster der Professor tatsächlich beiseite geschafft hatte, begann ihm nachzuspionieren. Dazu benutzte sie Boubacar Diarra, der schon lange ein Auge auf sie geworfen hatte. Bald schon wusste sie, dass es unter den Laboretagen noch eine weitere gab, von deren Existenz nur zwei oder drei Leute wussten. Sie war über einen getarnten Aufzug zu erreichen, der nur in den untereinander liegenden Büros von Sangaré und Diarra betreten werden konnte.
Mussa stahl ihrem neuen Liebhaber die Codekarten für sein Büro, als er mit Sangaré auf eine dreitägige Reise nach Wien musste. Jetzt würde sie es riskieren! Mit klopfendem Herzen, aber wild entschlossen drang sie in die Bürosektion vor. Es kam ihr zugute, dass diese nicht so extrem stark gesichert war wie die Code-eins-Sektion, in die sie niemals unbefugt hätte gelangen können. Für die Büros reichten einfache Codekarten.
Es war bereits weit nach Feierabend. Draußen brach die Dunkelheit herein. Mussa fand den Weg trotzdem traumhaft sicher. Sie entfernte die entsprechenden Wandpaneele in Diarras Büro und bestieg den Aufzug.
Ihr Herz raste, als die Hightec-Kabine nach unten rauschte und schließlich mit einem angenehmen Klingelton stoppte.
Die Tür öffnete sich. Mussa betrat großzügig angelegte Laborräume, die womöglich noch besser ausgestattet waren als die darüber. Strahlend helles, aber kaltes Neonlicht machte die Nacht zum Tage. Ängstlich schaute sich Mussa um. Hatte sie sich da nicht zu viel vorgenommen? Was, wenn außer dem Professor und Diarra noch andere Mitarbeiter hier unten tätig waren?
Aber alles blieb ruhig. Nur die üblichen Laborlaute waren zu hören: Knacken, Surren, in einem Käfig huschten ein paar weiße Mäuse hin und her.
Mussa gab sich einen Ruck und ging weiter.
Vorsichtig öffnete sie die Milchglastür zum nächsten Raum, machte ein paar Schritte hinein – und fuhr zu Tode erschrocken zusammen.
Weitere Kostenlose Bücher