208 - Nach der Eiszeit
sterilisierten Samen an die Weibchen weiter. Auf diese Weise war die Tsetsefliege in Sansibar vollkommen ausgerottet worden. Die Bauern dort konnten nun wieder genügend Rinder zur ausreichenden Fleisch- und Milchproduktion halten, was durch Tsetse-Überpopulationen zuvor nicht mehr möglich gewesen war.
Jetzt ist vielleicht der richtige Moment, ihm mal auf die Nerven zu fallen, dachte Mussa, der ein ganz bestimmtes Anliegen schon lange auf der Zunge lag. Sie räusperte sich. »Äh, Professor, darf ich Sie mal was fragen?«
Sangaré schaute hoch. Ein breites Lächeln erschien auf seinem Gesicht. »Sonst fragen Sie doch auch nicht, ob Sie fragen dürfen. Warum also ausgerechnet heute?«
Weil ich mir unsicher bin, dachte sie. »Wissen Sie, Professor, es ist doch so: Die SIT-Technologie ist bei den Tsetses so gut wie ausgereift. Es funktioniert bestens, wie Sansibar eindrucksvoll bewiesen hat. In Kairo wird daran gearbeitet, das SIT-Verfahren auch bei der Anophelesmücke anwenden zu können…«
»Ja und? Was ist nun Ihre Frage?«
»Ich meine, was machen wir also hier?«
»Was wir hier machen? Das wissen Sie doch ganz genau, meine liebe Mussa. Während SIT bei der Tsetse-Untergruppe Trypanosoma brucei rhodesiense, dem Erreger der ostafrikanischen Schlafkrankheit, durchschlagende Erfolge erzielt hat, sieht das bei Trypanosoma brucei gambiense, dem Erreger der westafrikanischen Schlafkrankheit, ganz anders aus. Hier schaffen wir es bisher nur, jedes zehnte Männchen per Bestrahlung zu sterilisieren.«
»Ja, sicher.« Mussa schielte auf die drei Tsetses, die verteilt auf der Glasscheibe zwischen anderen saßen. »Sie sind extrem groß, finden Sie nicht auch, Professor? Mindestens doppelt so groß wie die normalen. Nein, was ich eigentlich sagen wollte: Überträger der westafrikanischen Form der Schlafkrankheit ist die Palpalisgruppe.«
»Wie wir alle wissen.« Sein Lächeln wandelte sich in breites Grinsen.
»Ja, wie wir alle wissen, Professor. Die ostafrikanische Form wird hingegen von der Morsitansgruppe übertragen. Eigentlich ist unser Forschungsprojekt Palpalis. Wieso haben wir dann auch immer wieder Morsitans zu sterilisieren? Irgendwie kommt mir das komisch vor.«
Sangarés Lächeln brach ab. Ausdruckslos sah er ihr ins Gesicht. »Sehr scharfsinnig, meine liebe Mussa. Mir war klar, dass Sie als die einzige Biologin in dieser Abteilung früher oder später drauf kommen würden.« Er zögerte einen Moment. »Aber das sind Dinge, nach denen Sie am besten nie wieder fragen. Denn selbst wenn ich wollte, dürfte ich es Ihnen nicht sagen. Über Sinn und Zweck dieser Versuchsreihen sind nur Code-eins-Mitarbeiter informiert.«
»Ein Geheimprojekt?«
»Wenn Sie so wollen, ja. Wo kommen übrigens diese extrem großen Exemplare her?«
»Nun, sie wurden aus der Code-eins-Sektion hierher geliefert. Wahrscheinlich ein Irrtum.«
»Ja, wahrscheinlich«, murmelte Sangaré. »Lassen Sie das mal so. Ich werde mich drum kümmern.« Er lächelte ihr noch einmal aufmunternd zu und ging durch den langen breiten Gang, der links und rechts mit Fliegenkäfigen bestückt war, zur Schleuse. Dann fuhr er mit dem Aufzug nach oben in den vierten Stock, wo innerhalb des Verwaltungstraktes sein Büro lag.
Seufzend ließ sich der Professor in seinen breiten Ledersessel plumpsen. Durch die Panoramascheibe hatte er einen wunderbaren Ausblick über die malische Hauptstadt, die in einer staubigen Ebene im Schutz höherer Berge lag. Sangarés Laborkomplex war, durch Hochsicherheitszäune abgeschottet, auf einem Hügel etwas außerhalb Bamakos angesiedelt.
Sangarés Handy klingelte. Boubacar Diarra, sein engster Mitarbeiter, war dran. Er klang ziemlich aufgeregt. »Professor. Haben Sie gerade Zeit? Es ist wichtig…«
Zwei Minuten später saß er Sangaré gegenüber und schob ihm ein Exemplar der malischen Zeitung »Les Echos« über den Schreibtisch. »Da, Professor, lesen Sie. Den Aufmacher, meine ich.«
Sangaré drehte die Zeitung um und las. Dabei vermehrten sich die Falten auf seiner Stirn im Sekundentakt. Nach Beendigung der Lektüre warf er die Zeitung zornentbrannt auf den Tisch. »Dieser verdammte WWF. Was müssen sich diese schwachsinnigen Aktivisten ausgerechnet hier einmischen? Die sollen Elefanten schützen oder Berggorillas. Aber das hier geht zu weit. Lächerlich!«
»Und? Was machen wir jetzt?«
»Was sollen wir schon machen, Diarra?«, gab der Professor, auch weiterhin ungewohnt bissig, zurück.
»Wir warten ab. Das
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