208 - Nach der Eiszeit
erst einmal nicht vom Untergang der Welt in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Das änderte sich schlagartig am 14. August 2012.
Weil der Kometeneinschlag weltweit die Tektonik der Kontinentalplatten beeinflusste, hoben sich in Westafrika neue Vulkane aus der Erde. Die dadurch ausgelösten gewaltigen Erderschütterungen pflanzten sich bis nach Mali fort und schüttelten Sangarés Labor kräftig durch.
Wände stürzten ein, Käfigwände zersplitterten, Risse zogen sich wie Spinnennetze über das noch heil gebliebene Mauerwerk. Die Computer fielen aus. Türen wurden geöffnet oder blieben auf ewig zu.
Professor Amadou Sangaré stand starr und stierte auf sein zerstörtes Lebenswerk. Er merkte gar nicht, dass er aus einer Kopfwunde blutete.
Plötzlich spürte er ein seltsames Kribbeln im Nacken.
Seine Härchen stellten sich auf. Als er sich umdrehte, drangen gerade die ersten Kannibalen durch einen schmalen Spalt in den Raum. Kein Mensch hörte sein irres Brüllen, als sie über ihn herfielen.
***
Bamako, Mali, September 2204
Seit sieben Tagen wanderte der Clan jetzt auf dem von einer dicken Eisschicht bedeckten Niger. In den letzten vier Jahren, seit ihn Mul’hal’waak nach Süden führte, hatte er einen hohen Blutzoll bezahlen müssen. Gerade noch einundvierzig Köpfe zählte der armselige Haufen jetzt noch. Durch wilde Tiere, die in immer seltsameren Formen auftraten, aber auch durch Artgenossen, Krankheiten und Schwäche.
Olisehs Sohn Batuseh, der nach dem grausamen Tod seines Vaters Häuptling geworden war, blieb stehen und hob die Hand. »Anhalten!«, rief er in das dichte Schneetreiben hinein. Die grauen Schemen hinter ihm stoppten. Batuseh schnaufte und schaute zu den nahen Bergen hinüber. Dann zog er den Fellmantel vor der Brust zusammen, brach sich Eiszapfen aus seinem weißen Bart und witterte gleichzeitig wie eine Hyeena.
»Ich will verdammt sein, wenn ich da nich Rauch von ei’m Feuer rieche.«
Duuga trat zu ihm. Er hielt den Speer wurfbereit in der Hand. »Ja, Batuseh, da haste wohl Recht. Irgendwo da sin welche. Soll’mer Hallo sagen oder weiter gehen?«
Mul’hal’waak meldete sich machtvoll in Batusehs Geist, da dieser nahe genug am Schlitten mit dem Kristall und der Kiste stand. (Nehmt auf jeden Fall Kontakt auf.
Wir müssen fragen, ob sie weitere grüne Götter gesehen haben.)
Sie stießen auf etwa einhundertzwanzig Menschen, die in den Ruinen des ehemaligen Bamako hausten. Von der Hauptstadt Malis war nicht viel übrig geblieben. Schnee und Eis hatten die meisten der ohnehin eher flachen Gebäude gefressen. Nur noch vereinzelt schauten sie aus der weiten weißen Fläche hervor. Einige halb eingestürzte Türme bildeten die markantesten Orientierungspunkte.
Häuptling Ragongo bereitete den Wanderern einen überaus freundlichen Empfang. Das schläferte deren Misstrauen sofort ein. Batuseh freute sich, dass er einen neuen Freund gefunden hatte.
Ragongo und seine Kriegergarde begrüßten den grünen Gott ehrfürchtig. Der Häuptling lud die Wanderer ein, bei ihnen in der Stadt zu bleiben.
»Weil, ihr habt auch noch’n paar Weiber dabei und wir bräuchten dringend mal wieder welche, verstehste, Batuseh. Neue, damit die Kinderchen kein Dachschaden kriegen.«
Batuseh war einverstanden. »Habter denn Platz für uns?«
»Jede Menge. Wir ham unsere Häuser unterm Eis, verstehste? Da isses gemütlich wohlig.«
Die Wanderer bestaunten die schmalen, höhlenartigen Abgänge, die in die ehemaligen Häuser führten. »Da woll’mer auch rein«, sagte Duuga.
»Kein Problem, Mann«, erwiderte Ragongo. »Aber zuvor müsster noch alle hoch auf’n Berg. Dort sitzt nämlich unser Gott. Der is mindestens so mächtig wie eurer, und er will euch alle kennen lernen. Und den Götterkumpel sicher auch. Nehmt’n also mit hoch.«
Batuseh grinste dümmlich. »Mach mer. Wo müss’mer denn hin?«
Ragongo zeigte zu den steilen Felsen hinüber, die im Schneetreiben kaum zu erkennen waren. »Dahin. Aber keine Sorge, ich führ euch.«
Kurze Zeit später kämpften sich einundvierzig von Ragongo geführte, zerlumpte Gestalten einen steilen Felspfad hoch. Sie erreichten ein Areal auf einer Hochfläche, das von dickem Maschendrahtzaun umgeben war. Ein großer Gebäudekomplex ragte aus dem Schnee.
»Warum wohnt ihr denn nich hier?«, wollte Batuseh wissen. »Wär doch besser als innen Höhlen da unten.«
»Geht nich, Kumpel. Hier wohnt doch unser Gott. Der will sein Haus nich mit uns Menschen teilen,
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