2084 - Noras Welt (German Edition)

Dromedaren über die Berge nach Nordwestnorwegen, und da, wo früher einmal die Tankstelle gestanden hatte, legten sie gern eine Ruhepause ein.«
    »Araber?«
    »Klimaflüchtlinge. Ihre Heimatländer waren im Wüstensand versunken, und einmal wurde ein arabischer Junge krank und durfte bei uns in der Kissenkammer übernachten, bis er wieder auf die Beine kam und sich einer neuen Karawane anschließen konnte. Wir riefen einen Arzt, und der Junge bekam Medizin. Während er gesund wurde, haben wir uns mit Mensch-ärgere-dich-nicht und anderen Spielen die Zeit vertrieben … Als er dann weiterziehen konnte, gab er Uma einen Ring mit einem großen Rubin. Einen echten Aladinring hat er ihn genannt …«
    »Wie lange hat der Junge denn in der Kissenkammer gewohnt?«, fragte Jonas und klang fast ein wenig besorgt.
    Aber Nora gab keine Antwort. Sie musste sich an den Traum erinnern, das war schwer genug.
    »Von da an hat Uma immer diesen Ring mit dem roten Stein getragen. Und eines Morgens kam sie in mein Zimmer, sagte, die Welt und alle ausgerotteten Tier- und Pflanzenarten bekämen noch eine Chance, und es war sonnenklar, dass diese Chance etwas mit dem Ring zu tun hatte. Danach fing das Zimmer an zu schwanken, und am Ende sang Uma mit einer irgendwie gespenstischen Stimme ein Lied: Alle Vögel sind schon da … alle Vögel alle … An der Stelle bin ich aufgewacht, Jonas, und das Ganze ist erst ein paar Stunden her. Ich bin aufgewacht und hörte draußen die Vögel singen und war total überzeugt, dass das ein wahrer Traum gewesen war und meine Urgroßmutter ihr Versprechen eingelöst hatte. – Die Welt hatte wirklich eine neue Chance bekommen, und eine ganze Million Pflanzen und Tiere waren wieder da. Sie waren reinstalliert!«
    Jonas schüttelte den Kopf.
    »Unglaublich«, sagte er. »Wie du das erzählst, glaub ich fast selbst an deinen Traum.«
    »Aber verstehst du: Was im Traum die Verantwortung meiner Urgroßmutter war, wurde damit zu meiner. Auf einmal sind die Rollen vertauscht. Und in 72 Jahren werde ich meiner Urenkelin wieder begegnen. Dann wird der Fall ein weiteres Mal verhandelt, und dann bin ich die alte Urgroßmutter, die man womöglich in den Wald jagt, wenn der Zustand der Erde sich nicht gebessert hat. Wenn ich nicht verhindern kann, dass die Ökosysteme zusammenbrechen und dass die Natur auf der Erde reduziert und entzaubert wird – dann hab ich mein eigenes Urteil gesprochen.«
    »Ganz schön krass«, gab Jonas zu. »Ich glaube, mehr brauchst du mir gar nicht zu erzählen.«
    »Aber da ist noch mehr«, sagte Nora energisch. »Als ich aus dem Traum aufgewacht bin, hatte ich den magischen Ring am Finger, also genau den Ring, von dem ich geträumt hatte.«
    »Was sagst du da?«
    Nora schob den Ärmel ihres Pullovers hoch und zeigte auf den goldenen Ring mit dem roten Rubin, den sie am Ringfinger trug.
    »Da siehst du’s«, sagte sie. »Das ist der Ring, den Uma im Traum getragen und der dafür gesorgt hat, dass wir die Welt noch einmal auf Los setzen konnten.«
    Jonas wusste ganz offensichtlich nicht, was er von der Geschichte halten sollte.
    »Und als du aufgewacht bist, hattest du ihn plötzlich am Finger, sagst du?«
    Sie nickte heftig, und er dachte noch einmal über alles nach. Dann fragte er: »Oder hattest du ihn schon, als du gestern Abend schlafen gegangen bist?«
    Nora nickte stolz und geheimnisvoll. Dann erzählte sie, wie und warum sie das alte Erbstück am Tag zuvor erhalten hatte. »Es soll eigentlich ein Geburtstagsgeschenk sein, aber weil meine Mutter zu einer Tagung nach Oslo musste, hab ich ihn zwei Tage früher bekommen, zusammen mit dem neuen Smartphone. Wegen dem Traum hab ich jetzt beschlossen, den Ring für den Rest meines Lebens am Finger zu tragen. Er soll dafür sorgen, dass ich niemals vergesse, welche Verantwortung ich übernommen habe. Natürlich werde ich ihn auch noch tragen, wenn ich Urgroßmutter bin. Und wenn ich eine Urenkelin bekomme, werde ich ihre Eltern dazu überreden, sie Nova zu nennen. Denn dann kann mein Traum wahr werden, und ich kann eines Tages, wenn sie fast sechzehn ist, zu ihr ins Zimmer gehen und dafür sorgen, dass ihr Blick auf den geheimnisvollen Rubin fällt. Erst dann hat sich der Kreis geschlossen.«
    »Aber bis deine Träume in Erfüllung gehen, wird doch schon viel zu viel Natur verloren und der ganze Planet zugrunde gerichtet sein.«
    Jonas klang besorgt, aber sie schüttelte den Kopf.
    »Die Welt hat noch einmal eine Chance bekommen. Ich