2084 - Noras Welt (German Edition)
Überzeugung:
»Wenn wir uns an besagte einfache Mathematik halten, bedeutet es genau das, weil du dann nämlich klimapositiv reist. Und je mehr du so reist, desto besser für die Umwelt. Ein paar schnelle Wochenendtrips, und schon hast du wieder dazu beigetragen, eine gewisse Menge an Klimagasen aus der Atmosphäre zu entfernen. Und zollfrei einkaufen kannst du noch dazu. Wunderbar! – Glückwunsch, die erste Runde des Spiels geht an dich!«
Während sie auf dem Absatz kehrtmacht, rinnt jede Menge Wasser von ihrem riesigen Regenschirm auf den Tisch mit den Katalogen. Sie könnte selbst nicht sagen, ob es Absicht oder ein Versehen war. Jedenfalls verbeugt sie sich noch schnell vor dem Mann mit den weißen Haaren, und schon rinnt eine zweite kleine Flut über die vielen schönen Kataloge. Mit einer Geste des Bedauerns sagt sie:
»Entschuldigung! Das kommt alles nur von diesem verflixten Klima.«
EINE NEUE CHANCE
Nora stand wieder am Fenster. Jetzt endlich entdeckte sie in der Ferne etwas, das aussah wie eine winzig kleine rote Laus. Wenn nur die tief stehende Dezembersonne nicht so geblendet hätte. Sie nahm das Fernglas und trat hinaus auf die oberste Stufe der Eingangstreppe. Doch, es war Jonas in seinem roten Skianzug, der dort gelaufen kam. Wie er lief sonst niemand.
Er schnaubte wie ein Gewittersturm, als er zehn Minuten später auf den breiten Dielen im Windfang stand. Es war dort immer noch so kalt, dass ihm weiße Wolken vor dem Mund standen. Sie zog ihm die blaue Schirmmütze mit Ohrenklappen vom Kopf, legte ihm einen Arm um den Hals und küsste ihn. Jonas drückte sie an sich, aber er rang immer noch um Atem.
»Bist du … schon … lange hier?«, fragte er.
»Nur gerade so lange, dass ich angefangen habe, dich zu vermissen. Ich meine, richtig …«
»Und du bist allein?«
Sie lachte.
»Sicher, ja. Ich hab heute keine unsichtbaren Freunde um mich, und ich bin unterwegs weder Waldschraten noch Trollen begegnet.«
Er war immer noch aus der Puste. »Weißt du … mehr über … dieses … Geiseldrama?«
Nora holte ihr Handy, suchte die Nachricht, die sie gelesen hatte, und zeigte sie ihm. Während er las, sagte sie:
»Ich hab mit Benjamin gesprochen. Dem ging’s gar nicht gut. Aber ich hab ihn wenigstens ein bisschen aufmuntern können, glaube ich.«
»Wie das denn?«
»Ich hab ihm eine Runde Joggen vorgeschlagen. Das löst zwar keine Probleme, aber es bringt auch keine neuen.«
Endlich konnte er wieder normal atmen. Er ging auf sie zu, nahm ihren Kopf in beide Hände und küsste sie.
»Ich hab dich immer schon für eine gute Psychologin gehalten«, sagte er.
Sie schaute ihn an. »Immer? Oder seit ziemlich genau drei Monaten?«
»Egal. Jedenfalls kommt’s mir vor, als hätte ich dich schon immer gekannt.«
Erst jetzt ließ er ihren Kopf los. Aber er sah ihr noch immer in die Augen. Das fand sie wunderbar! Es gefiel ihr, dass er lange einfach dastehen und ihr in die Augen schauen konnte. Manchmal dauerte es so lange, dass einer von beiden anfing zu lachen, dann konnte auch der andere nicht mehr lange an sich halten.
Er sah die vielen Zeitungsartikel und Ausdrucke auf dem Tisch. Sie sollte ja das Archiv der Umweltgruppe aufbauen. Das war dann wohl das Ergebnis ihrer Sammeltätigkeit, das sie mitgebracht hatte, um es ihm zu zeigen.
Sie sagte: »Ich bin gespannt, ob du auch was mitgebracht hast.«
Er lächelte geheimnisvoll, und Nora hatte das Gefühl, dass er sie nicht enttäuschen würde.
»Aber ich will dich nicht nerven«, sagte sie. »Ich kann dir auch erst erklären, warum ich dir die Aufgabe überhaupt gestellt habe.«
»Weil du heute Nacht was geträumt hast?«
Er wollte sie wieder an sich ziehen, aber diesmal wehrte sie sich. Erst musste sie ihm etwas erzählen.
»Ich bin aus einem völlig verrückten Traum aufgewacht, und dieser Traum ist wichtig für die Aufgabe, die du lösen sollst, für die Artikel da auf dem Tisch und außerdem für die Dürrekatastrophe am Horn von Afrika, verstehst du?«
»Nein, aber erzähl weiter!«
Er ließ sich mit dem Rücken zum Fenster auf die Bank sinken. Nora gestikulierte heftig, während sie weiterredete, und er schaute zu ihr auf.
»Ich habe geträumt, dass ich einige Generationen in der Zukunft lebe. Es war nach dem Ölzeitalter, und fast alle fossilen Reserven waren aufgebraucht und das CO 2 darin in die Atmosphäre abgegeben. Das Abfackeln der Regenwälder und das Verfaulen meterdicker Torfmoore hatten die CO 2 -Konzentration in
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