2084 - Noras Welt (German Edition)
Siedepunkt, erkennt der Frosch die Gefahr nicht und wird zu Tode gekocht.«
Nach dem Vorlesen nickte Jonas wieder.
»Ist unsere Generation so ein Frosch? Oder sind es die Demokratien, in denen wir leben? Kann unser Planet die Menschheit überhaupt noch ertragen?«
DIE GRÜNEN AUTOMATEN
Sie ist in der Hauptstadt, und bei ihr ist der arabische Junge, den sie eine Zeitlang in der Kissenkammer beherbergt haben. Also sind sie einander wieder begegnet. Uma lebt nicht mehr, und nun hat Nova den roten Ring. Sie ist schon so erwachsen, dass sie ein schwarzes Kostüm trägt. Um die Schultern hat sie sich ein rotes Tuch gelegt. Sie hat sich für die Hauptstadt elegant gekleidet, und Schwarz trägt sie wegen der verstorbenen Urgroßmutter.
Auch der arabische Junge ist inzwischen ein junger Mann. Er trägt einen weißen Kaftan, der beim Gehen fast den Asphalt streift. Was er unter dem weißen Kaftan anhat, weiß sie nicht.
Sie spazieren durch die Straßen der Innenstadt und sehen sich die grünen Automaten an, die bald für die Öffentlichkeit zugänglich sein werden. Aber noch sind die Straßen menschenleer. Nova und der junge Araber haben die Innenstadt für sich.
An jeder zweiten Straßenecke sind solche grünen Automaten aufgestellt, an allen U- Bahn-Stationen und vor wichtigen Gebäuden.
Das Glockenspiel im Rathausturm spielt ein bekanntes Volkslied; auf dieses Signal haben die beiden gewartet. Sie nehmen sich jeweils einen der Automaten vor, sie mit einer roten Karte, er mit einer blauen. Sie stehen an gegenüberliegenden Straßenecken und nicken einander zu, dann führen sie ihre Karten ein. Nova entscheidet, auf welche Pflanzen oder Tiere sie setzen will. Sie muss eine Zahl eingeben, dann taucht auf einem Bildschirm ein Videoclip davon auf. Es kostet allerdings. Das Stück Natur auf Video ist nur gegen Bezahlung zu haben.
Während sie den Bildschirm fixiert und Geld einsetzt, füllt sich die Stadt mit Menschen. Sie strömen aus den U- Bahn-Stationen, steigen aus Bussen und schlendern durch die Straßen. Es sind viele, die gekommen sind, um die grünen Automaten auszuprobieren. Bald wimmelt die ganze Stadt von Menschen, und vor den neuen Attraktionen bilden sich lange Warteschlangen. Man gerät miteinander ins Gespräch; die Menschen reden und gestikulieren.
In dem Gewimmel kann Nova ihren Begleiter nur mit Mühe wiederfinden. Zum Glück ist er einen halben Kopf größer als die meisten anderen. Als sie aufeinander zulaufen, klatschen sie einander mit offenen Handflächen ab. Sie schaut zu ihm auf und lacht.
»Es ist, als ob wir die Welt noch mal ganz neu in Gang brächten!«
Er antwortet: »Man muss die menschliche Natur nur ernst genug nehmen!«
GAMIFICATION
»Die Welt hat noch einmal eine Chance bekommen.« Nora wiederholte sich. »Und jetzt will ich endlich wissen, wie wir diese Chance nutzen können.«
Jonas hob endlich den Blick von den Papierstapeln auf dem Tisch. Er lächelte das verschmitzte Lächeln, das Nora so gut gefiel, öffnete den Reißverschluss einer Tasche seines roten Skianzugs, zog ein paar zusammengefaltete Blätter heraus und reichte sie Nora.
Das erste Blatt war überschrieben: Wie können wir es schaffen, tausendundeine Tier- und Pflanzenart zu retten? In kleinerer Schrift stand darunter: Antwort auf Noras Frage.
Rasch blätternd, zählte sie sieben bedruckte Seiten. Sie sah ihn an.
»Okay, du bist ein bisschen spät gekommen – aber die Zeit war doch trotzdem viel zu kurz, um das alles aufzuschreiben?«
»Ich hab eben auch meine Geheimnisse. – Und jetzt lies!«, sagte Jonas.
Und Nora begann laut vorzulesen. Jonas ging erst zum Ofen und legte Holz nach, dann trat er mit dem Fernglas in der Hand vor das Fenster mit den unterteilten Scheiben.
»Alle Tier- und Pflanzenarten sind auf ihre jeweiligen Biotope angewiesen. Wird ein Stück Natur angegriffen, bedeutet das eine Bedrohung für alle Lebewesen des betreffenden Biotops. Die Bedrohung von Biotopen und im größeren Maßstab von Ökosystemen hat in aller Regel wirtschaftliche Ursachen. Die Reichen schrecken vor nichts zurück, um noch reicher zu werden, auch nicht vor dem rücksichtslosen Abbau von Rohstoffen wie Öl, Kohle und anderen Bodenschätzen dort, wo die Natur verletzlich ist. Aber auch die Armut der Menschen kann dazu führen, dass Ökosysteme auf nicht nachhaltige Weise ausgebeutet werden.
Das Problem ist, dass die sich in solchen Zusammenhängen stellenden Fragen oft zu komplex sind, als dass sie
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