2084 - Noras Welt (German Edition)
und Salamandern? Und was mit den vielen anderen Arten, die ebenfalls bedroht sind? Die Antwort ist, dass jede einzelne davon ihr eigenes Konto haben muss. Neben dem Tigerfonds muss es noch tausend weitere Fonds geben. Für Tiere und für Pflanzen. Dann gibt es genau tausendundeinen Fonds, tausendundein Konto für gefährdete Tier- und Pflanzenarten – eine schöne runde Zahl. Und eine genügend große Auswahl. Man kann für die Tiger spenden, aber genauso gut für Löwen oder Salamander, weil es auch einen Löwen- und einen Salamanderfonds gibt, jeder nach seinen ganz persönlichen Vorlieben, unabhängig davon, welche Einsichten oder Gefühle ihnen zugrunde liegen. Entscheidend ist die Wahlfreiheit, das wird uns eine Menge Gerede, das sonst mit solchen Fragen unweigerlich einhergeht, ersparen.
Einschlägigen Berichten zufolge sind bis zu eine Million Arten allein vom Klimawandel bedroht, doch müssen deshalb nicht zwangsläufig eine Million unterschiedliche Fonds eingerichtet werden. Vermutlich wären eigene Fonds für die großen Vögel und Säugetiere durchaus sinnvoll; dagegen sollte ein Fonds für alle Arten gefährdeter Blattläuse reichen, um das Interesse und die Spendierfreude all jener anzuregen, die – aufgrund welcher seltsamen Kindheitserlebnisse auch immer – eine besonders innige Beziehung zu Blattläusen entwickelt haben. Auch sie werden, indem sie die Blattlaus retten, zugleich die Blätter von Pflanzen retten und damit vielleicht auch den Hasen und das Reh und am Ende womöglich sogar den Luchs. Denn in der Natur hängt alles mit allem zusammen. Die biologische Vielfalt wird durch den Verlust ganzer Ökosysteme beeinträchtigt, aber auch durch den Verlust einzelner Arten. Arten, die ihren natürlichen Lebensraum, ihr Habitat, verloren haben und nur noch in zoologischen Gärten weiterleben, sind nur einen kleinen Schritt von ihrer endgültigen Ausrottung entfernt.«
»Ich begreife immer noch nicht, wie du das alles in so kurzer Zeit schreiben konntest«, sagte Nora, während sie zu Jonas hinübersah. Der kehrte ihr immer noch den Rücken zu und schaute mit dem Fernglas aus dem Fenster. Sie wusste also nicht, was er für ein Gesicht machte.
»Wie findest du’s denn?«
»Ziemlich gut. Ich bin gespannt, wie es weitergeht, aber ich glaube, es gefällt mir.«
»Dann lies weiter!«
»Meine Frage lautet: Welche Herangehensweise taugt am besten, wenn wir ein möglichst breites Engagement für die biologische Vielfalt auf unserem Planeten erreichen wollen, und ich habe schon die Wahlfreiheit als wichtigen Faktor erwähnt. Dazu ein Beispiel:
Stellen wir uns vor, jeder dürfte entscheiden, für welche Posten im Staatshaushalt genau er seine Steuern bezahlen will, statt wie bisher 30 oder 40 Prozent seines Einkommens abzuführen und sich dabei vorzukommen, als bezahlte er eine Strafe. Denn einen direkten Einfluss darauf, wie unser Geld verwendet wird, haben wir ja nicht. Und ob gleich Chaos ausbrechen würde, wenn jeder selbst entscheiden dürfte, wofür er Steuern bezahlt, ist noch die Frage. Die einen würden alles für die Verteidigung geben wollen, andere eher für Schulen, die Forschung, den Umweltschutz, die Entwicklungshilfe oder öffentliche Verkehrsmittel, wieder andere für Museen, Kindergärten, Krankenhäuser, die Oper oder die Altenpflege – und am Ende wäre womöglich alles nicht viel anders als jetzt. Der Unterschied wäre nur, dass die Steuerzahler zufriedener wären, weil ein solches Steuersystem dem Bedürfnis des Menschen nach individuellem Einfluss, Konkurrenz und Spiel entspräche.
Und genau dieses System könnten wir auch auf den Umweltschutz übertragen. Wenn die Politiker plötzlich eine eigene Umweltsteuer einführten, würden sicher viele gegen eine weitere Steuerbelastung protestieren. Man würde fragen, was hier mit »Umwelt« eigentlich gemeint ist, und sich darüber streiten, welche Umweltpolitik denn nun die beste und angemessenste sei. Oder nehmen wir an, es würde eine spezifische Steuer für die Erhaltung der biologischen Vielfalt an Pflanzen und Tieren in unserer Natur eingeführt. Vielleicht wären damit sogar mehr Menschen einverstanden. Aber andere würden immer noch protestieren, weil sie wissen wollen, welche Arten genau denn nun erhalten werden sollen? Ein Schaf- oder Rentierzüchter hat vielleicht etwas gegen Wölfe und Vielfraße, und manche Kaffeehausbesucher in den zubetonierten Städten hätten wahrscheinlich keine Lust, für Arten zu bezahlen, in
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