2084 - Noras Welt (German Edition)
Lebensräume der Tiger zu retten, denn wir sprechen von zweien, dem des bengalischen und dem des sibirischen Tigers, und was müssen wir dabei um jeden Preis vermeiden? … Stellen Sie sodann die Tigerproblematik in einen globalen Zusammenhang! Schildern Sie die Lebensbedingungen der Katzenarten der Welt, also der gesamten Familie der Felidae , und erläutern Sie, was zu deren Schutz innerhalb des vergangenen halben Jahres geschehen ist. Wir erwarten auch hier präzise Antworten …‹
Wäre es nicht eine Befreiung, wenn wir endlich neue und andere Schlagzeilen zu lesen bekämen? ›Innenarchitektin unterstützt 114 gefährdete Wirbeltiere … Englischlehrer hatte immer schon ein Herz für Frösche und Salamander … Studienrat Hjorth vermacht sein gesamtes Vermögen dem Fonds für Paarhufer … Landwirt aus Vindstra verkauft sein altes Anwesen und spendet den gesamten Ertrag für Löwen … Arme Rentnerin gibt jede Woche ihr Scherflein für den Bergfuchs … Wer hat im vergangenen Jahr am meisten für den Vogelbestand des Landes getan? – Große Spannung vor der großen Sonntagabend-Goldvogel-Show …‹
Die Leute sollen auch etwas für ihr Engagement bekommen, etwas Sichtbares, das sie sich an die Wand hängen oder aufs Kaminsims stellen können. Wer 1000 Kronen für den Wildbestand spendet, bekommt eine Schleife oder einen Gürtel in einer bestimmten Farbe, wer mehr als 5000 gegeben hat, bekommt seine Schleife oder seinen Gürtel in einer anderen Farbe. Darüber kann man dann reden, damit kann man auch protzen, egal, das ist alles nur ganz normal menschlich. Die Leute können auch zu Hause sitzen und sich gegenseitig googeln: ›Wusstest du, dass XY den schwarzen Gürtel in Wildrentier hat?‹ Was für ein schönes Gesprächsthema zum Beispiel für das Familienessen am Ersten Weihnachtstag. Wunderbar, super! Man könnte die Menschen fast wieder gut finden …
Es bleibt dabei: Das hast du unmöglich alles schnell schreiben können, bevor du dir die Skier untergeschnallt hast. Du warst auch nur eine knappe Viertelstunde später dran, als ich erwartet hatte, und keine zehn Stunden! Und was ich auch sagen muss: Wo wir seit Wochen versuchen, eine Umweltgruppe aufzubauen, finde ich es ein bisschen seltsam, dass du den Klimawandel nicht mal erwähnst.«
»Lies einfach weiter, Nora!«
»Und wieder höre ich einen Einwand: Was tun wir gegen den Klimawandel? Stellt nicht die globale Erwärmung die größte Bedrohung für Millionen von Tier- und Pflanzenarten dar? So ist es, und deshalb fügen wir hinzu, dass 35 Prozent des Geldes, das in die verschiedenen Fonds fließt, für Windmühlen, Sonnenenergie, die Erforschung alternativer Energiequellen wie Fusionsenergie und überhaupt für den Versuch verwendet werden sollen, die Emissionen klimaschädlicher Gase zu verringern – eine Art Mehrwertsteuer für die Teilnahme an dem Spektakel. So einfach könnte das sein. Die Emission klimaschädlicher Gase zu verringern wäre kein Problem mehr, sondern Teil eines neuen Volksvergnügens.
Worauf ich hinauswill: Es nützt nichts, immer nur an das schlechte Gewissen des Einzelnen zu appellieren, weil er gewissermaßen ein Milliardstel Verantwortung für die Zukunft der Erde trägt. Denn was soll ein einzelner Mensch dazu sagen? Wie kann man mit einem Milliardstel Verantwortung für einen ganzen Planeten leben? Wenn wir bei unserem Projekt die menschliche Natur mit in Betracht ziehen, heißt das, wir dürfen nicht im Gleichschritt marschieren. Erinnern wir uns lieber daran, wie viel leidenschaftliches Interesse für Pflanzen und Tiere bereits existiert! Die unterschiedlichsten Menschen interessieren sich für Orchideen, Käfer, Schmetterlinge, Wellensittiche, Finken, Papageien, Rosen, Rüben, Rhododendren, Katzen, Hunde, Schlangen, Leguane, Ratten und Mäuse. Und jeder, der etwas für den Rosen- oder den Papageienfonds spendet, beteiligt sich zugleich an dem großen Versuch, die globale Erwärmung aufzuhalten.
Abschließend möchte ich mich bei Nora Nyrud bedanken, die mich dazu gebracht hat, mich noch einmal geschlagene vierzehn Minuten an den Rechner zu setzen, um das Referat über biologische Vielfalt, das ich vergangenen Donnerstag in der Schule gehalten habe, zu überarbeiten. Der Titel meines ursprünglichen Referates war: ›Wie können wir ein breites gesellschaftliches Engagement für biologische Vielfalt erreichen?‹
Jonas Heimly, Lo, 11. 12. 2012«
Nora blickte auf.
»Verstehe … Ein schönes Referat,
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