2095 - Nekrophoren
Diamond seit geraumer Zeit eigenständig gedacht hatte.
Ich ... funktioniere ...
Sie hatte den Eindruck, aus einem tiefen, traumlosen Schlaf erwacht zu sein.
Nein, traumlos war er nicht gewesen. Sie hatte geträumt und während ihrer Träume agiert, etwas unternommen.
Aber sie wußte nicht, was.
Ich ... funktioniere ... wieder!
Mondra Diamond öffnete abrupt die Augen.
Und sah, daß sie mit dem Zyklopen Torr Samaho in einer Gondel hockte, die soeben in den Innenraum der Wolkenkapsel eingedrungen war.
Langsam kehrten die Erinnerungen zurück.
Sie war aufgebrochen, um sich bei den Alpha-Ingenieuren einzuschleichen, die nach ihrem Vorbild geklont worden waren. Doch Torr Samaho hatte sie mit seinen überlegenen mentalen Kräften sofort entlarvt und unter seine Kontrolle gebracht. Und dann ... dann war nichts mehr.
Die ganze Zeit über hatte sie wie in einer alles umfassenden Trance vor sich hin gedämmert.
Ein posthypnotischer Befehl, dachte die ehemalige TLD-Agentin.
Erst jetzt war es ihr gelungen, sich einen Rest freien Denkvermögens zurückzuerobern.
Das muß Gründe haben. Der Diener der Materie wird mich nicht einfach so aus seinem Bann entlassen ...
Langsam, ganz langsam, drehte sie den Kopf. Sie rechnete damit, daß Samaho die Bewegung wahrnahm, erkannte, daß sie wieder eigenständig denken konnte, und seine Kontrolle über sie wieder festigte, sie vielleicht sogar wieder in die posthypnotische Trance versetzte, doch nichts geschah.
Auf dem Boden der Kapsel hatte sich eine kleine Pfütze aus farbloser Flüssigkeit gebildet.
Mondra schaute an dem Zyklopen hoch und sah, daß er schwer verletzt war. Die Flüssigkeit tropfte aus einer häßlichen Bauchwunde, die offensichtlich verödet worden war, sich jetzt aber wieder geöffnet hatte; der rechte Arm war zerquetscht, der Kopf des riesigen Geschöpfs nur noch eine formlose Masse.
Aber das war nicht alles. Der Mörderprinz war nicht nur körperlich schwer mitgenommen.
Die geistige Verbindung Mondras mit dem Riesen war annähernd absolut, viel enger, als sie es sich wünschte, und völlig einseitig. Der ehemaligen Agentin war klar, daß sie den mentalen Fähigkeiten Samahos nichts entgegenzusetzen hatte. Er konnte mit ihr verfahren, wie ihm beliebte.
Aber sie spürte aufgrund dieser geistigen Nähe auch, daß der in den eigentlich viel zu kleinen Innenraum der Gondel gezwängte Riese im Begriff war, den Verstand zu verlieren ...
Torr Samaho lag im Sterben! Es würde sehr lange dauern, wurde Mondra klar, es würde sehr qualvoll werden, doch er würde dem Tod nicht entgehen können.
Und der kleine freie Teil von Mondras Geist erkannte in diesem Augenblick noch etwas.
Torr Samaho würde sie nicht mehr loslassen, nicht mehr freigeben.
Sie würde den ehemaligen Diener der Materie in den Tod begleiten.
*
Mondra wandte den Blick von dem zusammen gekrümmten Riesen ab und sah hinaus.
Der Flug der Gondel führte nicht in Richtung Entree-Station, auch nicht zu MORHANDRA oder in die Wolkenkapsel. Das Ziel der Reise wurde schnell vor ihnen größer, und sie erkannte es schließlich.
Es, war Box-ZENTAPHER, die zweite der drei fliegenden Städte, die bislang für den Erkundungstrupp der SOL nicht zugänglich gewesen war.
Aus der Nähe erweckte die Stadt den Eindruck einer bulligen, extrem stabil gebauten Lagerhalle.
Mondra wußte, daß sie wie eine etwa acht Kilometer lange Schachtel geformt war; die Gondel hatte sie allerdings fast schon erreicht, und die ehemalige Agentin konnte sie bei weitem nicht in ihrer gesamten Größe ausmachen.
Der Eindruck, es handele sich um eine Stadt, kam zustande, weil sich auf der Oberfläche der Schachtel eine wolkenkratzerartige Siedlung aus einigen Dutzend Gebäuden erhob.
Doch Box-ZENTAPHER war an mehreren Stellen deutlich sichtbar beschädigt.
Hundert Meter dicke Außenstreben sollten dem Gebilde die nötige Festigkeit verleihen, doch sie waren durchgehend ramponiert, einige davon sogar buchstäblich zerfetzt. Neben einer solcher Verstrebung dockte der Diener der Materie die Gondel an.
Samaho öffnete die Luke und verließ das Gefährt.
Mondra folgte ihm. Sie versuchte, ihre Beine daran zu hindern, sich einfach zu bewegen, doch es gelang ihr nicht. Der Crozeirenprinz hatte die absolute Kontrolle über ihren Körper.
Noch, brandete irrwitzige Hoffnung in Mondra auf. Er verliert sie allmählich. Zuerst war mein Bewußtsein gar nicht mehr vorhanden, nun bekomme ich wenigstens mit, was mein Körper tut.
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