21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
ihm sah ich ein wunderschönes, orientalisches Frauenangesicht mit geheimnisvollen Dunkelaugen, aber kalten, unerbittlichen Lippen und rätselhaften Sphinxzügen, ein Gesicht, welches mich sofort, doch nicht etwa den Menschen, sondern den Psychologen in mir, gefangennahm. Das Original zu diesem weiblichen Porträt war sicher keine im Harem psychisch vernachlässigte, sondern ganz gewiß eine geistig bedeutende Persönlichkeit. Und als ich schärfer hinschaute, bemerkte ich unter den Bildern zwei feine, in das Gold des Rahmens gegrabene Unterschriften. Diejenige, welche unter dem männlichen Porträt stand, lautete ‚Dschafar Mirza‘ und die unter dem weiblichen ‚Schahzahdä Khanum Gul‘.
Man muß wissen, daß das Wort Mirza, wenn es vor dem Namen steht, ein allgemeiner Titel ist, welcher jedem gebildeten Manne, besonders aber Gelehrten, Dichtern etc. gegeben wird, z.B. Mirza Schaffy, der bekannte Freund Bodenstedts; steht er aber hinter dem Namen, so bedeutet er den Rang eines Prinzen. Mit dem Schah nahe- und blutsverwandte Prinzen werden Schahzahdä tituliert. Steht das eine Dame bezeichnende Wort Khanum hinter dieser Bezeichnung, so ist eine Prinzessin gemeint. Hieraus folgt, daß mein früherer Reisegenosse Dschafar ein Prinz und das Original des andern Bildes eine mit dem Schah von Persien verwandte Prinzessin war. Durch die Vereinigung der beiden Bilder war ich natürlich veranlaßt, auch die Personen in nahe Beziehung zueinander zu bringen; aber welches das Verhältnis war, in dem sie sich berührten, das konnte ich freilich nicht wissen. Aus dem Umstand, daß sie sich dem Verbot des Islam entgegen hatten abbilden lassen, war zu schließen, daß sie über der gewöhnlichen muselmännischen Denkweise erhaben standen, was bei dem weitgereisten Dschafar Mirza kein Wunder war; in Beziehung auf die Schahzahdä Khanum aber ergab sich daraus die wahrscheinlich berechtigte Folgerung, daß sie eine jener selbständigen Damen sei, vor denen der Orientale ein Grauen hat. Hat es schon bei uns einen eigenen Beigeschmack, wenn wir von einer ‚emanzipierten Frau‘ sprechen, so tritt dieser goût hétérogène im Orient noch viel mehr hervor. Wer es fertigbringt, alle Traditionen und Rücksichten außer acht zu setzen und die Fesseln des so streng abgeschlossenen dortigen Frauenlebens zu sprengen, der ist gewiß mit einem explosiven Temperament ausgerüstet oder hat – ich bitte, mich eines Lieblingsausdruckes meines kleinen Halef bedienen zu dürfen – verschiedene Scheïtanin im Leibe sitzen. Daher der Widerwille des Orientalen, den Frieden seines Harems durch eine solche ‚Teufelin‘ in das Gegenteil umwandeln zu lassen.
Daß die Prinzessin Gul hieß, war eigentlich gar nichts Auffälliges, und doch dachte ich sonderbarerweise dabei sogleich an Gul-i-Schiraz. Vielleicht war das eine Folge des Eindruckes, den das Bild auf mich machte. Die sphinxartigen Züge des Gesichtes paßten ja ungemein zu der Rätselhaftigkeit, welche die geheimnisvolle ‚Rose von Schiras‘ für mich hatte.
All diese Gedanken gingen mir sehr schnell durch den Kopf, und doch blieb es für Halef nicht unbemerkt, daß die Porträts kein gewöhnliches Interesse für mich hatten.
„Du siehst die Bilder so eigentümlich an, Sihdi“, sagte er. „Kennst du etwa diesen Mann oder das Weib oder wohl gar beide?“
„Sprich leise!“ warnte ich mit unterdrückter Stimme, indem ich das Bild in meine Tasche schob. „Der Säfir darf nichts davon hören.“
„Allah! Du steckst es ein!“ flüsterte er. „Willst du es behalten?“
„Ja.“
„Aber du hast doch noch soeben gesagt, diese Sachen seien fremdes Eigentum!“
„Ich hatte das Bild noch nicht gesehen.“
„Es scheint dich plötzlich aus der großen Erhabenheit deiner Ehre herabgezogen zu haben! Wie nun, wenn ich mich durch die Schönheit des Armbandes auch herabziehen ließe?“
„Das ist etwas ganz anderes. Es hat mit diesem Bild eine ganz eigenartige Bewandtnis, die ich dir jetzt nicht erklären kann. Ich darf es nicht hier liegenlassen; ich muß es mitnehmen. Vielleicht treffe ich den rechtmäßigen Eigentümer, dem es wahrscheinlich gestohlen wurde. Auch scheint es mit einem Geheimnisse zusammenzuhängen, dessen Lösung auf unserm Weg liegt. Es ist kein Diebstahl, den ich begehe nicht einmal eine Unehrlichkeit, sondern ich habe das Recht, und die Klugheit gebietet mir, es zu nehmen. Komm, wir wollen gehen!“
„Wohin?“
„Hinunter zu den Soldaten.“
„Lassen wir
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