21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
auch?“
„Ja.“
„Aber bei ihm vor allen Dingen kommt es darauf an, daß wir nicht bloß seine Person, sondern auch Beweise haben!“
„Mehr als genug!“
„Vollgültige, unwiderlegliche?“
„So überzeugende, daß er schon die Bastonade bekommen hat.“
„Sie haben ihn schlagen lassen? Wären nicht Sie es, so würde ich fragen, ob Sie das Recht dazu besitzen.“
„Da will ich gleich gestehen, daß man, als ich fortritt, eben im Begriff stand, die gefangenen fünfzehn Räuber auch zu bastonieren.“
„Gleich fünfzehn Personen? Und ohne richterliche Befugnis oder Genehmigung? Lieber Freund, werden Sie das verantworten können?“
„Verantworten? Pah! Wir befinden uns nicht in Stambul oder gar in Wien, Berlin oder einer anderen westeuropäischen Residenz, sondern unter Räubern und Mördern, inmitten einer Bevölkerung, welche trotz Scheriat (Geistliches Recht) und Mülteka el buhur (Zivil- und Kriminalgesetzbuch der Türken) doch nur nach ihrer Gewohnheit handelt: Auge um Auge, Blut um Blut. Richterliche Befugnis oder Genehmigung? Wie es mit den hiesigen Richtern steht, das wissen Sie ebensogut wie ich. Ihre Anwesenheit gilt ja diesen schauderhaften Verhältnissen! Und ob ich es verantworten kann?“ Ich schlug mit der Hand an meine Waffen und fuhr fort: „Hier steckt die Verantwortung. Wer sie haben will, der kann und soll sie bekommen! Wenn ich hier in einer ganzen Atmosphäre von Schandtaten und Verbrechen atme und mir einmal gute, reine Luft verschaffe, um nicht elend ersticken zu müssen, so sollen die Vertreter des Gesetzes, welche an der Verpestung dieser Atmosphäre die Schuld tragen, nur kommen und mich zur Verantwortung fordern. Ich werde sie so bedienen, daß sie mehr als genug haben!“
„Na, na, na, na!“ machte er lachend. „Sie geraten ja ganz und gar ins Fäusteballen! Da wird mir angst und bange! Aber beruhigen Sie sich! Ich kenne Sie, und es ist mir nicht eingefallen, Sie nur im geringsten beleidigen oder kränken zu wollen. Was Sie getan und angeordnet haben, das ist auf alle Fälle wohlgetan und hat ausgeführt zu werden. Ich wohne in der Residenz des Kalifen; darum werden Sie meine Erwähnung des Richters und der Verantwortlichkeit verzeihlich finden. Sind Sie nun versöhnt?“
„Es bedarf dieser Frage gar nicht. Nur habe ich in einem moralischen Schmutz waten müssen, der geradezu entsetzlich ist, und wenn ich ihn nicht als köstliches Material, sondern eben nur als Schmutz behandle, so ist das einfach mein Menschenrecht. Übrigens, da ich von ‚köstlichem Material‘ spreche, will ich nicht versäumen, zu erwähnen, daß ich nicht bloß Schmutz gefunden, sondern eine Schatzkammer entdeckt habe, deren Wert vielleicht nach Hunderttausenden zu taxieren ist.“
„Eine Schatzkammer? Wie meinen Sie das?“
„Ich meine dieses Wort wörtlich, nämlich eine aus mehreren Räumen bestehende Schatzkammer, in welcher alle möglichen Arten von Schmuggelwaren aufgestapelt sind. Auch Geld, Geschmeide und Edelsteine gibt es da.“
„Was Sie sagen! Das wird die Niederlage, das Magazin der Pascher sein?“
„Nichts anderes.“
„Und Geld ist da? Wahrscheinlich das Betriebskapital?“
„Vermutlich.“
„Und das soll einen solchen Wert, einen so außerordentlich hohen Wert besitzen?“
„Es soll nicht, sondern es hat ihn wirklich.“
„Dann haben Sie ja einen Fang gemacht und einen Fund getan, der ohnegleichen ist! Wie haben Sie das angefangen? Wie ist es geschehen? Bitte, erzählen Sie doch einmal!“
Ich erstattete ihm einen ausführlichen Bericht, ohne aber dabei der geheimen Verbindung der Sillan und meiner zu ihr in Beziehung stehenden Erfahrungen, Schlüsse und Vorsätze Erwähnung zu tun. Ich hielt eine derartige Mitteilung nicht nur für unnötig, sondern sogar für unklug, weil ich nur dann Erfolg haben konnte, wenn es verschwiegen blieb, daß mir die Angelegenheiten der ‚Schatten‘ schon nicht mehr ein vollständiges Geheimnis waren. Dennoch wuchs seine Aufmerksamkeit von Minute zu Minute; er unterbrach mich sehr oft mit Ausdrücken des Staunens, der Verwunderung; bei der Entdeckung der elf Leichen dachte er sich so lebhaft in meine Situation, daß er selbst blaß wurde, und als ich schließlich erzählte, daß ich voller Empörung über dieses Abschlachten menschlicher Wesen sofort zurückgeeilt sei und den Befehl gegeben habe, die Mörder zu bastonieren, rief er aus:
„Das war recht, Effendi, das war sehr, sehr recht; ich hätte dasselbe, ganz
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