21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
Geheimmittels mitteilte, von dem sie behauptete, daß ein Vorfahre von ihr, der ein berühmter Hekim (Arzt) war, es einst von Scheherezade, dem Liebling Harun al Raschids, aus Dankbarkeit dafür erhalten hatte, daß es seiner Kunst gelungen war, sie, die berühmte Erzählerin von ‚Tausendundeiner Nacht‘, von einer tödlichen Krankheit zu erretten.
Als wir dann von ihr und ihren Leuten Abschied nahmen und ihr sagten, daß wir nicht über Kirmanschah, Kerind und Khanekin nach Bagdad zurückkehren würden, weil dies ein zu bedeutender Umweg für uns sei, riet sie uns, nach dem Tschaisu, einem Zufluß der Djala, zu reiten, warnte uns aber vor einem Zusammentreffen mit den räuberischen Hamawands und Dawuhdijehs, zwei ebenso ‚unternehmenden‘ wie ‚ruchlosen‘ Kurdenstämmen, die grad jetzt in Feindschaft miteinander lebten, weshalb die betreffende Gegend doppelt unsicher sei. Diese Warnung war gut gemeint, konnte uns aber nicht abhalten, die angegebene Richtung einzuschlagen, weil wir dies auch ohne den Rat der Umm ed Dschamahl getan hätten. Wir hatten in Beziehung darauf, daß man die Kurden Räuber nennt, unsere eigenen, persönlichen Ansichten, welche sich aus unsern Erfahrungen und dem aus diesen entspringenden objektiven und unparteiischen Urteil ergaben.
Diese viel verleumdeten und auch von abendländischen Zeitungen oft angegriffenen Stämme üben an Reisenden, welche ihnen freundlich gesinnt sind, eine Gastlichkeit, welche die größte Anerkennung verdient; selbst der Todfeind steht so lange und so weit unter dem kräftigen Schutz des Zeltes oder des Lagers des gegnerischen Stammes, in dessen Hut er sich vertrauensvoll begeben hat, wie die Zusage und Macht desselben reicht. Freilich, wer mit zweifelhaften Absichten kommt oder, wie manche, besonders europäische Reisende es tun, sie wie minderwertige, tief unter ihm stehende Menschen behandelt, die seine Suprematie bescheiden anerkennen und seine Nichtbeachtung ihrer Sitten und Gewohnheiten ruhig hinnehmen sollen, der darf von ihnen nicht erwarten, daß sie ihm Ursache bieten, sich lobend über sie auszusprechen. Wenn sie für die Erlaubnis, durch ihre Gebiete zu reisen, von solchen Leuten eine entsprechende Gegenleistung fordern, ist das zum Tadel ganz gewiß kein Grund. Und wenn sie, falls man ihnen diese Leistung verweigert, sich mit Gewalt in den Besitz der Forderung setzen und dann auch wohl mehr als das vorher Verlangte nehmen, so wird ein Kenner der dortigen Verhältnisse sie trotzdem noch nicht als Räuber bezeichnen. Der Begriff des Wortes Raub und die Ansichten darüber sind bei diesen Leuten eben andere als bei uns. Wenn unsere darauf bezüglichen Anschauungen für den größten Teil des Orients keine Geltung haben, dürfen wir nicht grad und speziell von den Kurden verlangen, daß sie sich ihnen zu ihrem materiellen Schaden fügen. Als ich mich einst mit einem dortigen hohen Beamten über diesen Punkt unterhielt, antwortete er mir, indem ich ein beinahe zweideutiges Lächeln auf seinem Gesicht erscheinen sah:
„Raub? Räuber? Allah bewahre dich vor Ungerechtigkeit! Ich kenne einen Mann, der in eurem Lande gewesen ist; außerdem hat er viel über euch gelesen und mir davon erzählt; ich weiß also, wie es steht: Bei uns gibt es den geraden, offenen, ehrlichen Raub, bei euch den höflichen, den heimlichen, den versteckten. Ihr nennt das Bankrott, Ruin, Krach, Trust, Gründung und Spekulation, womit ihr nicht etwa nur Fremde, sondern eure eigenen Stammesangehörigen schädigt. Ihr setzt den Leuten eure Messer in versteckter Weise auf die Brust; die, welche ihr hier Räuber nennt, tun das, indem sie es aufrichtig sagen, und nur gegen Fremde, gegen Feinde, niemals gegen einen, der zu ihrem Volk gehört. Welche Räuber sind da mehr zu tadeln, die unserigen oder die eurigen?“
Konnte oder mußte ich ihm unrecht geben? Man hat grad in der Jetztzeit die Kurden so oft und mit solcher Erbitterung als Räubervolk verschrien und ihnen die ganze Schuld an den vielbesprochenen armenischen Wirren zugeschrieben. Ich habe es schon gesagt und sage es hier wieder, natürlich im allgemeinen gesprochen und den Durchschnitt gemeint, daß mir ein Kurde zehnmal lieber ist als ein Armenier, obgleich der letztere ein Christ ist. Wenn und wo auch im Orient irgendeine Niederträchtigkeit geschieht, da hat gewiß ein Levantiner, ein Grieche oder, was noch viel leichter denkbar ist, ein habichtsnasiger Armenier die Hand dabei im Spiel. Und was die erwähnten Wirren
Weitere Kostenlose Bücher