21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
Kurde?“
„Nein“, antwortete ich.
„Das habe ich dir angesehen, obgleich sich aber doch keiner von euch ganz verleugnen kann. Räuber bleibt Räuber!“
Das war wieder höchst unvorsichtig von ihm. Er fühlte sich in seiner Uniform wahrscheinlich unantastbar. Wie aber hätte ihm ein Kurde an meiner Stelle wohl geantwortet? Auch ich zog aus diesen seinen beleidigenden Worten die Veranlassung, ihm nun so zu kommen, wie ich nach meinem Plan mußte und wie er wohl schwerlich erwartete.
Wir hatten nämlich die Wiesenmulde hinter uns; der Wald begann wieder. Ich sah Madana seitwärts in denselben einbiegen; sie blieb vorher stehen und gab mir durch einen eigenartigen Wink zu erkennen, daß wir uns jetzt dem Versteck ihrer Leute näherten. Ehe wir dieses erreichten, mußte ich mit dem Hauptmann fertig sein; das gebot mir die Vorsicht. Die Szene, welche uns erwartete, mußte ihn zur Erkenntnis bringen, daß wir keine Dawuhdijehs waren, und so war es geraten, ihn schon jetzt unschädlich zu machen. Darum antwortete ich:
„Räuber? Mit diesem Wort meinst du uns?“
„Ja“, lachte er, ohne verlegen zu sein.
„Weißt du, wie ein kurdischer Krieger darauf antwortet?“
„Er schweigt, denn es ist wahr!“
„Ja, er sagt allerdings nichts; aber er tut etwas.“
„Was?“
„Das!“
Bei diesem Wort holte ich aus und gab ihm einen Fausthieb ins Genick, daß er mit dem Oberkörper vorn niederknickte und mit den Füßen aus den Bügeln fuhr. Dann faßte ich ihn hinten, riß ihn aus dem Sattel und warf ihn neben sein Pferd, wo er vor Schreck und in halber Betäubung liegen blieb.
„Recht so, Effendi!“ jubelte Halef, indem er aus dem Sattel sprang. „Da lernt er die Faust eines Räubers, eines Dawuhdijeh-Kurden, kennen! Was soll jetzt mit ihm geschehen?“
„Nimm ihm die Waffen; gib ihm einen Knebel in den Mund, daß er nicht schreien kann, und binde ihm dann die Hände zusammen und an meinem Steigbügel fest! Beim geringsten Widerstand, den er zu leisten wagt, schieße ich ihn nieder!“
Ich zog den Revolver und richtete ihn auf den Offizier, der von Halef angefaßt und vom Boden in die Höhe gezogen wurde, ohne sich zu wehren. Als er meine Waffe sah, stammelte er:
„Ein Kurde – – – und ein Revolver – – – Maschallah (Wunder Gottes!)!“
„Wer so frech ist, von einem freien Krieger Gefälligkeiten im Ton eines Vorgesetzten zu fordern und ihn anstatt des Dankes dafür noch einen Räuber zu nennen, der kann sehr leicht noch andere, viel größere Wunder erfahren!“ antwortete ich. „Hatte der Pascha keinen klügeren, vorsichtigeren Mann hierher zu senden? Wir sind keine Räuber, und es wird dir nichts geschehen, doch nur unter der Bedingung, daß du alles tust, was ich verlange. Jetzt vorwärts!“
Der wahrhaft mutige Mann ist bescheiden, der Poltron aber im Grunde feig; das zeigte sich auch hier. Dieser Mann hatte sich ohne eine Miene der Gegenwehr knebeln und an meinen Bügel binden lassen und lief nun ganz schön nebenher. Sein Pferd ritt der Kurde, welcher das seinige an Ingdscha abgetreten hatte.
Wir bogen, indem wir Madana folgten, in ein von dicht stehenden Nadelbäumen überschattetes Felsengewirr ein, welches ganz unzugänglich zu sein schien, aber uns doch bald guten Raum zum hindurchkommen bot. Hier war wohl noch nie ein Mensch geritten! Dann ging es so steil hinab, daß wir die Pferde wieder führen mußten, wobei sie zuweilen auf den Hinterbeinen zu schlittern kamen, worauf wir einen Grund erreichten, wo früher ein kleiner See, ein Weiher, gelegen hatte, der aber ausgetrocknet war, wahrscheinlich weil sein Zufluß einen andern Weg gefunden hatte. Da blieb Ingdscha halten, deutete mit der Hand vorwärts und sagte:
„Dort hinter dem Gesträuch sind unsere Leute. Hörst du sie? Madana hat ihnen gesagt, wen wir getroffen haben.“
Ich hörte laute, frohe Stimmen; Zweige knackten, und der erste, der erschien, war der lange, riesenhafte Raïs selbst, der Vater Ingdschas, der mich damals so feindlich behandelt hatte und dann von dem Ruh 'i Kulyan zu einer andern Gesinnung bekehrt worden war. Sein Gesicht strahlte, als er mir beide Hände mit den Worten entgegenstreckte:
„Effendi, es ist wahr! Du kommst, du! Sollen wir das wirklich glauben? Können wir es glauben? Und dein Hadschi Halef ist auch dabei! Kommt, kommt schnell, damit euch alle sehen! Sie zweifeln sonst daran, daß ihr es seid!“
„Natürlich sind wir es, und natürlich bin ich auch dabei!“ meinte Halef.
Weitere Kostenlose Bücher