21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
ist die Mitbewachung anvertraut; sie haben diesem Mülasim Gehorsam zu leisten. Wo liegt der Kulluk?“
„Man kann ihn von hier aus in einer Stunde erreichen.“
„Eine Stunde nur?“ Ich wendete mich zu Adsy: „Da hörst du, wie wenig du dich auf eure Kundschafter verlassen kannst. Und acht Personen sind das gewesen! Wenn wir jetzt nicht Ingdscha und Madana getroffen hätten, wären wir vollständig in die Irre geritten und hätten froh sein müssen, wenn wir nicht erwischt worden wären! Ist der Weg nach dem Kulluk auch zu Pferd zu machen?“
„Ja“, antwortete Madana. „Ihr wollt hin?“
„Natürlich! Es fällt uns nicht ein, diese Gegend eher zu verlassen, als bis wir Marah Durimeh herausgeholt haben!“
„Und unsere Leute mit, Effendi!“ bat Adsy. „Du hast gehört, daß sie auch im Turm stecken. Wie aber wirst du es anfangen, ihnen die Freiheit zu verschaffen?“
„Das kann ich doch jetzt noch nicht wissen. Ich muß den Kulluk und seine Umgebung kennenlernen, auch die Sicherheitsmaßregeln, welche der Mülasim getroffen hat. Auch ist es nötig, vorher mit dem Raïs von Schohrd zu sprechen, um seine Ansichten zu hören. Erst dann, wenn ich alles, was überhaupt zu erfahren ist, erfahren habe, kann ich mir ein Bild über die ganze Lage machen und einen bestimmten Plan fassen, eher aber nicht. Du fragst mich also zu früh.“
„So sag mir wenigstens, ob du die Ausführung für möglich hältst!“
„Sie muß möglich sein, weil ich sie wirklich machen werde. Ich habe ja gesagt, daß ich nicht eher von hier fortgehen werde!“
„Ich danke dir! Du hast mir mit diesen Worten das Herz leicht gemacht. Freilich schwer wird die Ausführung sein!“
„Was das betrifft, so schau hier meinen Hadschi Halef Omar an! Sein Gesicht strahlt ja förmlich von Zuversicht!“
„Strahlt es wirklich?“ fragte Halef lachend. „Ich sage euch, seit ich weiß, daß es sich wieder einmal um eine Tat handelt, zu welcher Mut und List gehören, ist ein ungeheures Wohlbefinden in mein Herz gezogen. Vor diesem Mülasim und seinen fünf Asaker und vor den vierzig Dawuhdijehs fürchten wir uns nicht. Der größte Turm der Welt war doch der Turm zu Babel, den man jetzt Birs Nimrud nennt. Wir sind vor kurzer Zeit in die finstern Eingeweide dieses Turms gekrochen, um mit den Drachen des Mordes und der Schmuggelei zu kämpfen. Wir haben über dies Ungeheuer gesiegt und sind als ruhmgekrönte Helden wieder an das Licht des Tages gestiegen. Haben wir uns vor diesem Turm zu Babel nicht gefürchtet, wie sollten wir uns da vor eurem kleinen Kulluk ängstigen? Er ist ein so lächerlich kleiner Kerl, daß wir nur mit einer einzigen Hand hineinzugreifen brauchen, um alle herauszuholen, welche man drin vor uns verbergen will!“
Es war eine Lust, den kleinen Kerl in dieser Weise sprechen zu hören, besonders da seine Zuhörer Orientalen waren und sich als solche nicht an seiner Ausdrucksweise stießen. Auch mir schien die Ausführung unseres Vorhabens nicht mit großen Schwierigkeiten verknüpft zu sein, zumal es sich um einen türkischen Offizier handelte, dem ich mit meinen Legitimationen leicht imponieren konnte. Was die gefangenen Hamawandi-Kurden betrifft, so galt es, zu erfahren, ob es zwischen ihnen und den Dawuhdijehs vielleicht einen Zusammenstoß gegeben hatte, welcher einen blutigen Konflikt zur Folge haben mußte, was unser Vorhaben unbedingt erschweren mußte. Ich fragte darum Madana:
„Waren die Leute bewaffnet, welche mit dem Knaben in den Turm gebracht wurden?“
„Nein“, antwortete sie.
„Kamen sie zu Pferd?“
„Nein; aber die Dawuhdijehs, welche sie begleiteten.“
„Sie wurden also als Gefangene behandelt?“
„Ja. Jeder von ihnen hing an einem der Pferde.“
„War jemand von ihnen verwundet?“
„Davon haben wir nichts gesehen.“
„Wie verhielten sie sich? Leisteten sie Widerstand?“
„Nein. Sie ließen sich ohne Sträuben hineinschaffen. Einer von ihnen, welcher den Knaben trug, schien kein gewöhnlicher Krieger zu sein; das hörten wir aus den Worten, die er sprach.“
„Was sagte er?“
„Als er vom Pferd losgebunden worden war und durch das Tor gehen sollte, rief er drohend aus: ‚Wir kamen im Frieden und haben euch darum unsere Waffen abgegeben. Haltet uns ja nicht zu lange fest, sonst könnte Jamir kommen und uns mit bluttriefenden Waffen von euch fordern!‘ Diese Worte habe ich selbst ganz deutlich verstanden.“
„Das beruhigt mich, denn wir können daraus ersehen, daß
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