21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
und wenn ein Dscheograf unrecht hat, so verbietet es mir die Wahrheitsliebe, ihm aus Höflichkeit recht zu geben. Übrigens bist du selbst noch viel unhöflicher gewesen als ich!“
„Ich? Inwiefern und gegen wen?“
„Gegen meinen Emir Kara Ben Nemsi Effendi. Schaue ihn einmal an! Sieht er so aus, als ob sein Volk die Teppiche und Pantoffeln für eure Harems herzuschenken habe? Ich sage dir, die Deutschen schenken nicht einmal ihren eigenen Frauen Pantoffeln, also noch viel, viel weniger fremden Weibern! Und wenn du denkst, daß sie euch Teppiche schicken, so irrst du dich da ebenso, denn sie haben ja selber keine. Dein allergrößter Irrtum aber liegt in dem Tribut, von welchem du gesprochen hast. Das deutsche Volk besteht aus Helden, aus lauter unüberwindlichen Kriegern, die sich selbst vor der Hölle und dem Teufel nicht fürchten. Wollte der Sultan es wagen, mit ihnen zu kämpfen, so würden sie ihn einfach in die größte ihrer Kanonen laden und ihn wieder heim nach Stambul schießen. Es gibt ein unübertretbares Gesetz bei ihnen, durch welches auf das strengste verboten wird, einem fremden Fürsten Tribut zu zahlen, und es ist ganz im Gegenteil der deutsche Sultan, dem ausländische Herrscher Steuern zu entrichten haben. So weiß ich zum Beispiel ganz genau, daß die Beherrscher von Ulah, Midilli, Merakesch, Süwedsch, Dschibeltar und Firangistan (Wallachei, Mytilene, Marokko, Suez, Gibraltar und Europa) ihm hohe Tribute zu entrichten haben, denn er hat sie alle besiegt und im letzten Kriege sogar die Völker von Brasilli, Sibir memleketi und Prussia (Brasilien, Sibirien und Preußen) überwunden. Es ist also eine Beleidigung meines Effendi, wenn du behauptest, daß sein Volk Tribut zahlen müsse, während es doch im Gegenteil Tribut gezahlt bekommt. Und ebenso falsch war das, was du von den Deutschen in Beziehung auf die Pilgerzüge und auf Mekka und Medina erzähltest. Du wirst dort niemals einen Deutschen sehen, denn die Bewohner von Dschermanistan sind keine Mohammedaner, sondern entweder Christen oder überhaupt gescheite Leute. Die Kamele haben dort nicht nur einen oder zwei, sondern drei oder gar vier Höcker, und die Datteln wachsen dort so groß und schwer, wie bei euch die Kürbisse sind. In ihren Flüssen gibt es Fische, Kadyrga balydschylar (Walfische) genannt, welche ihren eigenen Schwanz nicht sehen können, weil man von ihm aus bis vor zum Kopf einen halben Tag lang im Galopp zu reiten hätte, und wenn sie von einer Stadt zur andern reisen, tun sie das nur auf eisernen Straßen, indem sie ihre Wagen von feuerspeienden Pferden ziehen lassen, welche stählerne Glieder haben und mit brennenden Kohlen gefüttert werden.“
Der Kol Agasi saß mit vor Erstaunen offenem Mund da und sah den Sprecher sprachlos an. Er war das, was man vulgär mit dem Ausdruck ‚baff‘ zu bezeichnen pflegt. Seinen Leuten ging es ebenso.
„Nun, was sagst du jetzt?“ fuhr Halef fort. „In deiner Dscheografia steht wohl nichts davon, daß die Deutschen solche Feuerpferde haben und keine Mohammedaner sind?“
„Wird – wird – das Pferd, welches – welches der Emir mit hat, auch mit glühenden Kohlen gefüttert?“ fragte der Offizier, seine Sprache wiedergewinnend.
„Nein, dieses nicht. Du brauchst dich also nicht zu fürchten.“
„Und – und ist er – wirklich kein Anhänger des Propheten, sondern ein Christ?“
„Er ist ein Christ, also ein sehr gescheiter Mann.“
„Verzeih, o Scheik der Haddedihn, daß ich einen Gedanken ausspreche, der vielleicht nicht voller Achtung klingt! Du nennst ihn einen gescheiten Mann; aber ist es klug von ihm, als Christ hier diese Gegend aufzusuchen?“
„Warum sollte das etwa unklug sein?“
„Weil hier die berühmten Orte der schiitischen Wallfahrten liegen. Es ist für ihn äußerst gefährlich, sich auch nur eine Stunde hier zu verweilen, denn sobald die Schiiten in der Nähe ihrer heiligen Orte jemanden als Christen erkennen, so ist er verloren. Wißt ihr das nicht?“
„Wir wissen allerdings, daß furchtsame Leute so denken, wie du sagst; aber wir haben das, was andere Menschen Angst zu nennen pflegen, nicht kennengelernt. Wir gehen, wohin es uns gefällt, und bleiben dort, solange es uns beliebt. Wir sind hierher gekommen, weil wir den Birs Nimrud besuchen wollten, und es ist uns gar nicht eingefallen, daran zu denken, ob das für uns gefährlich sein kann oder nicht. Wir hegen nicht die geringste Besorgnis um unser Wohl und unsere Sicherheit, und
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