21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
geben.“
„Wer bist du?“ fragte ihn der Angeredete, sichtlich erfreut, aus seiner Unschlüssigkeit erlöst zu werden.
„Ich war ein tapferer Krieger des Beduinenstammes der Obeïde, bin aber wegen diesen Leuten, die Allah zerreißen möge, ausgestoßen worden und muß nun, um nicht hungern zu müssen, der Diener fremder Menschen sein.“
Das Gesicht dieses Mannes kam mir bekannt vor, doch konnte ich mich nicht besinnen, wann und wo ich es gesehen hatte; da kam Halef zu mir zurück und sagte mit leiser Stimme:
„Sihdi, ich erkenne ihn; er ist einer der beiden Spione, welche wir damals mit der Schande bestraften, daß wir ihnen die Bärte abschneiden ließen.“
Jetzt besann ich mich auch; Halef hatte recht. Die zwei Beduinen waren durch diese Bestrafung ehrlos geworden und infolgedessen von ihrem Stamm verstoßen worden; jetzt ergriff der Mann die sich ihm so unerwartet bietende Gelegenheit, sich an uns zu rächen. Mir war gar nicht bange dabei, und Halef setzte sich mit erwartungsvollem Lächeln wieder neben mich auf den Brunnenrand.
Der Perser ließ sich wieder auf seinen Teppich nieder, steckte den Dolch in den Shawl, ließ eine möglichst würdevolle Miene sehen und forderte nun den einstigen Obeïde auf:
„Erzähle mir, was du von ihnen weißt! Wenn du eine gerechte Sache gegen sie hast, sind wir bereit, dir beizustehen.“
„Meine Sache ist nicht nur eine gerechte, sondern eine blutige“, kam der Beduine dieser Aufforderung nach, „denn eine Schande, wie sie mir angetan worden ist, kann nur mit Blut vergolten werden. Der Stamm der Haddedihn fing damals Streit mit den Obeïde an; wir rüsteten zum Krieg, und unser Scheik sandte zwei Kundschafter aus, die Absichten der Haddedihn zu erforschen. Einer dieser Kundschafter war ich; Allah wollte, daß wir Unglück hatten; wir wurden ergriffen und zu alten Weibern gemacht, indem man uns die Bärte schor. Dadurch ging unsere Ehre verloren, und wir wurden von den Unserigen ausgestoßen.“
„Du sprichst von dir, wolltest aber doch von ihnen reden!“
„Verzeih; es wird sofort geschehen! Ich kannte diese Männer damals noch nicht, habe sie aber später genau kennengelernt und sehr viel über sie gehört. Der Kleine dort heißt Hadschi Halef Omar und ist jetzt der Scheik der Haddedihn – – –“
„Was sind die Haddedihn? – Sunniten?“
„Ja.“
„So wird Allah sie und ihn verfluchen und verderben! Wie darf er es wagen, diesen Khan zu betreten, der nur für die gläubigen Bekenner der heiligen Schia erbaut worden ist! Sobald er fort ist, muß dieser Ort von seinem Gestank gereinigt werden!“
„Allah, Wallah! Der Gestank des andern ist noch viel größer!“
„Wieso?“
„Weil er weder ein Sunnit noch ein Schiit, sondern überhaupt kein Moslem ist.“
„Was denn? – Etwa ein verfluchter Jehudi (Jude)?“
„Nein, sondern noch schlimmer, denn er ist ein ungläubiger Nasrani (Christ).“
„Ein Nasrani?“ fuhr der Perser auf. „Ist das möglich? Ist das auch nur denkbar? Hat man eine so verfluchte Entweihung des heiligen Pilgerwegs jemals erlebt? Was ist da zu tun! Ermannt euch, ihr Leute; es ist eine Bestie, ein nach Verwesung duftendes Aas in unserer Mitte! Werft euch auf den Kerl, schafft ihn, lebend oder tot, vor das Tor hinaus!“
Halef griff wieder nach seiner Peitsche und wollte vom Brunnenrande herunterrutschen; ich hielt ihn zurück und sagte:
„Bleib! Es wird jetzt interessant. Ich bin neugierig, ob sie den Mut besitzen, sich an mir zu vergreifen.“
Sie besaßen ihn nicht; sie fluchten und schimpften in allen Tonarten, blieben aber da stehen, wo sie standen. Der Obeïde bestärkte sie in dieser Feigheit, indem er die Warnung aussprach:
„Seid nicht unvorsichtig, sondern nehmt euch in acht! Dieser Ungläubige ist euch unbekannt, ich aber kenne ihn, denn ich habe alles gehört, was man von ihm berichtet.“
„Du widersprichst dir doch!“ warf der Kammerherr ein. „Erst klagst du ihn an, und dann warnst du uns vor ihm!“
„Weil ich nicht will, daß ihr gegen ihn unterliegen sollt.“
„Wir sind ihm überlegen!“
„Im Kampf nicht! Er ist stark und geschmeidig wie ein Panther und erlegt den Löwen des Nachts mit einer einzigen Kugel. Das große, schwere Gewehr, welches dort neben ihm lehnt, hat Geschosse, welche mehrere Tagereisen weit fliegen und dann noch jeden treffen, den er will, denn ihm hilft der Scheïtan, mit welchem er ein Bündnis geschlossen hat. Und mit dem kleinen Gewehre kann er,
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