210 - Unter dem Vulkan
Zeug.
»Welche Rolle spielst du hier?« Er war froh, wieder bedeckt zu sein, denn er wollte keine Missverständnisse fördern.
»Gehörst du zu den Reitern?«
»Nein, ich wollte nur mal baden.«
Matt war nicht ganz klar, was er mit dieser Auskunft anfangen wollte. Erst dann begriff er, dass sie ihm auswich. Es gab nur eine Möglichkeit: Sie musste die wichtige Persönlichkeit sein, die Noah und die anderen begleiteten – die künftige Gattin des Propheten!
Matt wich vor Schreck so weit zurück, dass er einen dicken Stein übersah, das Gleichgewicht verlor und auf dem Hintern landete.
Bevor er aufstehen konnte, ging Almira vor ihm in die Knie und sagte leise: »Ich wollte eigentlich gar nicht baden. Ich wollte abhauen.« Sie deutete auf das Gewässer. »Ich wollte den Fluss durchqueren und türmen.«
»Was?« Matt blieb sitzen. »Warum denn?«
»Ich soll jemanden heiraten, den ich weder kenne noch liebe.«
»Na, wenn das kein Grund ist.« Matt dachte nach. Da war er ja mal wieder in eine schöne Situation geschliddert. »Und warum wolltest du unbedingt nackt abhauen? Hältst du das etwa für klug?«
Almira zeigte ein listiges Grinsen. »Ich hatte natürlich Ersatzkleider dabei, in einem Beutel, den ich mir über den Kopf gehalten hatte. Die wollte ich am anderen Ufer anziehen und verschwinden. Die anderen Sachen hätten Noah und die Boiis gefunden, und damit wäre mein Tod durch Ertrinken glaubwürdig geworden.« Sie deutete auf den Fluss. »Ich hatte nicht bedacht, dass ich tatsächlich ertrinken könnte. Du hast mich gerettet!«
»Ähm… ja. Gern geschehen.« Matt war verlegen – vor allem, weil Almira noch näher kam. Sie kniete nun zwischen seinen gespreizten Beinen. Wenn jetzt jemand kam und sie sah, konnte er schnell einen falschen Schluss ziehen.
Wenn er Almira richtig verstand, war sie die Braut des Propheten. Dass sie ihren Bräutigam nicht kannte, war zwar nicht nach seinem Geschmack, aber war seine Moral mehr wert als die einer anderen Kultur?
Menschen machten Gesetze nicht aus einer Laune heraus.
Sie machten Gesetze, damit sie ihr Zusammenleben regelten und erleichterten. Im Afrika des 20. Jahrhundert hatte man nichts dabei gefunden, elfjährige Mädchen mit Greisen zu verheiraten.
Nun ja, einen gut gemeinten Rat konnte er ihr zumindest geben.
»Wenn du frei sein willst, Almira«, sagte er, »musst du um deine Freiheit kämpfen!«
Almira schaute ihn aus großen Augen an. »Das meine ich auch«, sagte sie. »Aber wenn ich mich gewehrt hätte, hätte mein braver Onkel Jules es ausbaden müssen.«
Matt erkundigte sich, wer Onkel Jules war, und erfuhr, wo Almira herkam und aufgewachsen war. Sie erzählte, wie ihre Eltern ums Leben gekommen waren; dass Jules sie aufgezogen hatte; dass er als Gewürzkrämer im Dienst von Maitre Magnan stand, dessen Ahnen schon mächtig gewesen waren; dass sie nur mit Doctorus Noah und den Boiis fort gegangen war, um zu verhindern, dass der Prophet sich an Onkel Jules rächte.
»Er ist feige, aber auch lieb.«
»So, so.« Matt musterte die junge Frau eingehend. Sie war nicht nur attraktiv, sondern auch sympathisch, wenn ihr euphorischer Tonfall auch von einer gewissen Naivität kündete.
Was hatte sie sich vorgestellt? Dass sie nur den Fluss zu durchqueren und eine Weile geradeaus spazieren musste, um wohlwollend von der großen Welt aufgenommen zu werden?
Sie hatte nicht mal ein Taschenmesser dabei! Hier baumelten Würgeschlangen an den Bäumen. Und wenn er an die Berggorillas dachte, denen Rulfan und er begegnet waren…
[3] Sie hatten die Begegnung mit den Zilverbacks, wie sie hier genannt wurden, nur knapp überlebt, und Rulfan hatte sich eine Infektion eingefangen, die ihn für Wochen außer Gefecht gesetzt hatte.
»Hilfst du mir?«, hauchte Almira.
»Wobei?« Matt wich zurück. Nicht, dass er es als unangenehm empfand, dass sie ihm so nahe kam, aber er konnte es auf den Tod nicht leiden, wenn Frauen ihn umgarnten, weil sie etwas von ihm wollten.
»Zu flüchten.« Almira legte die Arme um seine Taille.
Matts erster Impuls bestand darin, sie anzublaffen, doch er begriff, dass es ihm und Rulfan nichts nützen würde, wenn er sie gegen sich aufbrachte. Laut Noah war sie eine wichtige Persönlichkeit. Dies hatte sie offenbar erkannt. Wie sonst konnte es ihr gelungen sein, Rulfan in den Wagen zu holen?
Sie hat Noah bedroht. Genau das kann sie jetzt tun, wenn ich sie abweise… Sie braucht nur loszukreischen und den Boiis vorzulügen, ich hätte sie
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