210 - Unter dem Vulkan
wirkte gut gelaunt. Matt sah eine günstige Gelegenheit, etwas mehr über die Gesellschaft zu erfahren, in die er geraten war. »Womit handelt ihr eigentlich?«, erkundigte er sich. »Seid ihr Gewürzkrämer?«
Cadiz lachte. »Ja, unter anderem. Maitre Magnans Wahlspruch lautet ›Perzente‹. Er handelt eigentlich mit allem, was Profit einbringt.«
»Elfenbein, Sklaven, Schnaps, Waffen?«
»Keinen Schnaps. Was ist Elfenbein?«
»Efrantenzähne.«
Cadiz lachte. »Warum sollte die jemand kaufen wollen? Die liegen doch hier überall rum.« Er schüttelte den Kopf. »Du hast etwas Wichtiges vergessen: Informationen.« Er schnalzte mit der Zunge.
»Über wen?«
Cadiz’ Blick deutete zum Himmel hinauf. »Ich nenne keine Namen. Wenn du aber länger als zwei Wochen in diesem Land bist, hast du sicher schon gehört, dass nicht alle Menschen Freunde unserer Herrscherdynastie sind. Und alle, die nicht zu ihren Freunden zählen, tun gut daran, jeden Schritt der Dynastie zu kennen, weil sie unsereins am liebsten mit Stumpf und Stiel ausrotten möchte.«
Matt nickte. Ja, schon im alten Rom hatten die Statthalter der Cäsaren jede Chance genutzt, um ihre Taschen zu füllen.
Zu seiner Zeit hatten sie es in Texas und Bayern so gemacht. Je größer ein Imperium, umso schwächer seine Randgebiete. Je mehr Macht der Herrscher abgab, desto unverfrorener plünderten seine Stellvertreter die Provinzen aus und brachten die Bevölkerung gegen sich auf. Bald meldeten sich dann die ersten Freiheitskämpfer, die nur ein Ziel hatten: die Ausbeuter zu beseitigen, um deren Stelle einzunehmen.
»Die Legionäre?«, fragte er.
Cadiz nickte. Noah hatte ihm berichtet, mit wem sie unterwegs zusammengestoßen waren. »Ich hoffe, es waren die gleichen, hinter denen Maitre Magnan her ist, denn in diesem Fall droht uns keine unmittelbare Gefahr mehr.«
Matt fielen die Tätowierungen der Legionäre ein. »Ich weiß, woran man erkennt, zu welcher Einheit sie gehören.« Er beschrieb die Nasenstreifen und bot sich an, die Leichen der Legionäre zu untersuchen, die Cadiz gefunden hatte. Cadiz erwiderte, das sei nicht nötig; sie seien alle gleich gekennzeichnet. »Wir haben sie in Säcke eingenäht. Sie liegen unter der Gondel.«
»Warum das denn?« Matt machte große Augen.
»Weil wir sie natürlich mitnehmen, um Papa Lava zu besänftigen – wie wir es mit allen Elementen tun, die die Ordnung des Propheten wissentlich schmähen.« Cadiz hüstelte so sonderbar, dass Matt nicht wusste, ob er seine Worte ironisch meinte.
Auf jeden Fall klang er ziemlich bizarr. Matt fiel es schwer zu glauben, dass jemand, dem die Naturwissenschaften nicht fremd waren, dem Irrglauben anhing, man könne »Götter« besänftigen, indem man ihnen Opfer brachte.
Aber vielleicht heuchelte Cadiz ja nur, dass er diesen Schwachsinn glaubte. Vielleicht war er gewieft und wusste, dass die Gondelwände Ohren hatten. Vielleicht wusste er, dass es der Karriere dienlicher war, dem Propheten nicht zu widersprechen. Vielleicht wollte er Matt aber auch nur zu verstehen geben, auf was er sich einließ, wenn er noch länger auf dieser Lichtung verweilte.
Eins stand jedenfalls fest: Der Orden, dem Maitre Magnan vorstand, sägte nicht nur an des Kaisers Stuhl, er brachte auch einer archaischen »Gottheit« Opfer dar.
Menschenopfer! Matt fragte sich, ob die Opfer tot sein mussten, wenn man sie »Papa Lava« darbrachte. Aber nein, das hätte zu keiner Sektiererlogik gepasst: Lebende Opfer waren immer tausendmal mehr wert als Leichen.
Und weil vermutlich jene Menschen als Erste dem Vulkan zum Opfer fielen, die auf den Propheten pfiffen, hatte Almira nur wenige Alternativen. Eigentlich hatte sie gar keine.
»Gilt das auch für… ähm… geringfügige Schmähungen?«
»Hast du ein Beispiel zur Hand?«
»Nun…« Matt schaute zum Wagen hinaus, den Doctorus Noah gerade verließ. »Die Widerborstigkeit eines Weibes vielleicht?«
»Ohhhh…« Cadiz pfiff leise durch die Zähne. »Ich glaube, da kennt der Prophet kein schlimmeres Verbrechen.«
Dann stellt sich jetzt eigentlich nur noch die Frage, ob Almira lieber als Lustsklavin oder als Vulkanopfer endet, dachte Matt.
Sein Entschluss stand fest: Sie mussten abhauen – er, Rulfan und Almira. Und zwar am besten mit dem Luftschiff…
***
Je später der Abend, umso nervöser die Wachtposten.
Matthew Drax hatte noch nicht durchschaut, wie viele Männer Capitaine Cadiz an der Roziere zur Seite standen, da ihre Vermummung sie
Weitere Kostenlose Bücher