2110 - Der Gute Geist von Wassermal
Bergleute redeten mit gedämpften Stimmen durcheinander. Sie wirkten bedrückt. Eigentlich durfte mich das nicht wundern, denn die Arbeit eines Bergmanns unter Tage war in jener Zeit wahrhaft höllisch - und lebensgefährlich.
„Atlan, ich komme!" Die Stimme, die durch den Füllort schallte, war unverkennbar die von Sershan, dem Krieger der Kosmokraten.
Im nächsten Moment flackerte das weiße Licht, dann verschwand es - und mit ihm die Bergleute. Diffuses grünes Leuchten strahlte von der Decke.
Und auf einer hölzernen Galerie rechts über mir tauchte Sershan auf: mit geschwärztem Gesicht und zerrissener Kleidung mit Brandspuren.
Das ist die Realität! Ich konnte meinem Extrasinn nur bedingt Recht geben.
Ich schüttelte meine Erstarrung endgültig ab und stürmte auf den Schachteinstieg zu. Obwohl ich die Fahrkunst nie ausgeübt hatte, schwang ich mich, ohne zu zögern, auf die nächstgelegenen Fußtritte und packte die Handgriffe.
Im nächsten Augenblick setzte sich das Gestänge in Bewegung.
Nach unten!
Ich stieß eine Verwünschung aus. Mein Ziel befand sich oben - und wenn Sershan den Einstieg erreichte, würde er das nach oben führende Gestänge benutzen, denn jetzt konnte er es erkennen, da es sich in Bewegung befand.
Aber ich durfte nicht zulassen, dass er mich überflügelte. Ein paar Sekunden zögerte ich, denn was ich vorhatte, war lebensgefährlich. Dann schwang ich mich auf das gegenläufige Gestänge. Ich bekam die Handgriffe zu fassen, aber meine Füße ruderten ins Leere.
Weitere Sekunden vergingen, in denen ich an den schmierigen Griffen abzurutschen drohte, dann fanden meine Füße Halt und ich bewegte mich ohne weitere Schwierigkeiten nach oben.
Kurz darauf tauchte Sershan auf. Der ehemalige Krieger befand sich doch tatsächlich auf dem Wege nach unten.
Hatte er den Verstand verloren? Dann erkannte ich den Grund.
Er hing halb bewusstlos an seinen Handgriffen und Fußtritten. Anscheinend waren seine Explosionsverletzungen doch schlimmer als gedacht und er litt unter Erschöpfung und starken Schmerzen. Deshalb war er offenbar nicht in der Lage gewesen, das richtige Gestänge zu besteigen, sondern hatte sich wahllos an das nächstliegende geworfen.
Mir sollte es recht sein - obwohl er mir ein bisschen Leid tat.
Mein Mitgefühl verging mir jedoch sehr schnell, als er die Augen aufriss und auch schon aggressiv wurde. Sein Fuß knallte gegen meine linke Kniescheibe.
Mehr reflexhaft als bedacht reagierte ich: Ich hob den rechten Fuß, stieß zu - und traf mit dem Absatz seinen Unterleib.
Röchelnd sackte Sershan in sich zusammen. Sekundenbruchteile später ließ er seine Handgriffe los, rutschte ab, glitt von den Fußtritten und verschwand in der Tiefe.
Er schlug unterwegs immer wieder an, und ich zuckte jedes Mal zusammen, wenn ich einen Aufprall hörte.
Dieser Gegner wird sich nie wieder erheben!, meldete sich mein Extrasinn.
*
Als die Fahrkunst mich ins Innere eines Gebäudes trug, sprang ich ab, bevor die Bewegungsrichtung meines Gestänges sich umkehrte.
Da ich Stimmengewirr hörte, sprintete ich weg vom Zentrum des einzigen, sehr großen Raumes und hin an die nächste Wand. Dort lehnte ich mich an, stand still, lauschte und sah mich um.
Innerhalb des Hauses befand sich niemand. Hier gab es auch keine Geräusche außer dem Klicken und Schleifen, das die beiden gegenläufigen Gestänge verursachten, während sie sich rhythmisch auf und ab bewegten.
Das Stimmengewirr kam von draußen!
Die vier grau verputzten Innenwände des Hauses hatten insgesamt acht hohe verglaste Fenster, die aber mit fettigem Staub überzogen waren. Außerdem gab es eine große zweiflüglige Tür aus massivem Holz.
Ich schlich zu einem der Fenster jener Wand, durch die die Stimmen kamen. Mit dem Ellenbogen wischte ich ein Stück Fensterfläche frei und spähte hinaus.
Eine Lichtung im Wald, zirka hundert Meter Durchmesser, der Boden aus graugrünem Felsgestein. Zwischen dem Haus und dem bergseitigen Rand die Talstation einer primitiven Seilbahn. An den Trag- und Zugseilen je eine offene Gondel. An einer der Gondeln eine Hand voll vierschrötiger Humanoiden in schmutziger Arbeitskleidung.
Revolver in Gürtelhalftern. Sie luden mit bloßen Händen Steinkohlebrocken aus einem Hund, also einer Grubenlore, in die Gondel. Als der Hund leer war, hatte sich die Gondel erst zur Hälfte gefüllt. Dabei diskutierten sie in einer unbekannten Sprache.
Irgendwie unwirklich!
Irgendetwas geschieht
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