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2112 - Verschollen in Tradom

Titel: 2112 - Verschollen in Tradom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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minder verunstaltet als der seines Artgenossen. Der Angreifer hatte sein Opfer praktisch in Stücke zerrissen.
    Ich sah mich um, lauschte, nahm nichts Auffälliges wahr. Ich lief los, drückte mich gegen die Wand, als könne ich mich so vor einer Entdeckung schützen. Das war natürlich völlig unsinnig, doch mein Verstand arbeitete noch immer höchst unzulänglich.
    Bei der ersten Abzweigung blieb ich stehen. Stumm verfluchte ich meine Nachlässigkeit. Ich hatte den Plan, der zu meiner Orientierung dienen sollte, in der Kabine liegen lassen!
    Aber er hätte mir sowieso nicht geholfen. Ich hatte mich auch mit dem Plan innerhalb weniger Minuten hoffnungslos verirrt.
    Ich versuchte, die Ruhe zu bewahren, aber die Angst war zu stark. Weiter, einfach nur weiter! Fort von den Leichen, von diesem schrecklichen Ort!
    Dann hörte ich das Stöhnen.
     
    *
     
    Es war ein fürchterliches Geräusch, das in der Seele in meiner Brust Entsetzen und Schmerz hervorrief. Ein Hauch zwischen Leben und Tod, zwischen schwacher, kreatürlicher Hoffnung und abgrundtiefer Verzweiflung.
    Ich bog um die Ecke.
    Vor mir lag die renhazsche Philosophin, die uns im Gesellschaftsraum an ihren Kenntnissen über Literatur hatte teilhaben lassen.
    Das tonnenförmige Wesen hatte noch versucht, einige Pseudopodien auszufahren, wahrscheinlich, um sich vor dem Angreifer zu schützen. Sie ragten aus dem Leib hervor wie dürre, karge, verkrümmte Zweige eines absterbenden Baumes, der sich für den letzten Sturm wappnen wollte, obwohl er keine Chance hatte. Doch kein Lebewesen gab die Hoffnung auf, und die Philosophin hatte bis zum Letzten gekämpft.
    Der Mörder hatte ihr den Leib aufgerissen, die dicke, lederartige Haut durchtrennt, als bestünde sie nur aus hochwertigen Schmierstoffen für Triebwerke. Und er hatte es dabei nicht bewenden lassen. Er hatte - mit bloßen Tentakeln, wie ich vermutete - die schrecklichen Wunden weiter vergrößert.
    Er wusste, dass sie sterben würde. Er wollte, dass sie langsam starb. Unter Qualen. Er hatte sie tödlich verletzt und einfach liegen lassen.
    Ich konnte nichts für sie tun, hatte nicht einmal eine Waffe, mit der ich ihr Leiden hätte abkürzen können. Ihr leises Wimmern zerriss mir die Seele in meiner Brust, doch ich war völlig hilflos. Und ich war froh, dass sie mich nicht sah, dass sie nicht mehr sprechen konnte.
    Ich schämte mich dieser Empfindungen, aber ich gestehe sie euch jetzt frei und offen ein, meine Kinder.
    Ich ging weiter. Und sah die nächste Leiche. Die eines Tark. Es war mir unmöglich, die Angehörigen dieser Spezies voneinander zu unterscheiden, doch ich glaubte, den Tark aus dem Gesellschaftsraum wiederzuerkennen.
    Eine Blutlache hatte sich um ihn ausgebreitet. Die Hälfte seiner Verletzungen hätten ihn töten können. Die anderen waren ihm wohl nur aus Mordlust beigebracht worden.
    Was sind das nur für Wesen, die andere zum Spaß umbringen? Haben sie nie etwas von Anguela gehört?
    Leichen pflasterten meinen Weg. Und Sterbende. Ich stolperte buchstäblich über Dutzende Wesen, die vor und neben mir ihr Leben verloren oder es schon ausgehaucht hatten. Zahllose Verletzungen blieben unbehandelt: Meine Mitreisenden waren sich in ihren letzten Minuten oder Stunden selbst überlassen.
    Vor mir hörte ich ein leises Zischen, dann plötzlich laute Schreie. Ich zögerte, blieb stehen.
    Mir kamen Zweifel. Warum lässt Anguela so etwas zu? Warum entzieht sie uns ihren Schutz?
    Dann hörte ich das Zischen auch hinter mir. Ich fuhr herum, erstarrte dann.
    Es war ein ganz seltsamer Augenblick. Mir stockte das Herz in der Brust, und die Zeit schien einfach stillzustehen. Er währte nur einen Sekundenbruchteil, doch eine Ewigkeit schien zu vergehen.
    Jedenfalls kam es mir so vor.
    Zumindest schienen die Gedanken, die mir durch den Kopf gingen, für eine Ewigkeit zu reichen. Hätte eins der Wesen, die ich sah, einen Strahler in der Hand gehabt, ich hätte mir die Funktionsweise der Waffe in allen Einzelheiten in Erinnerung rufen können, ohne dass die Geschöpfe mir auch nur einen Schritt näher gekommen wären, so langsam verging die Zeit für mich.
    Aber die Wesen trugen keine Waffen.
    Sie benötigten keine.
    Drei, vier Quintanen stürmten auf mich zu.
    Große Quintanen.
    Quintanen in tollwütiger Trance.
     
    *
     
    Ich dachte nicht, ich rannte los. Auf die Schreie zu, das leise Zischen. Ich bog um eine Ecke, sah das Gemetzel, wollte herumwirbeln, zurücklaufen, hörte das wütende, hasserfüllte

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