2113 - Gefangen in der Zitadelle
dachte ich, ich habe dir Fragen gestellt und auf Antworten gehofft, und ich habe nie welche bekommen, und jetzt trinke ich einen ganzen Bottich Evrafosch, und dann übergebe ich mich auf deine Ikonen, auf dein Auge, und ich ...
Tratto öffnete den Mund, und ich dachte nichts mehr. Sie sprach, ein letztes Mal, wie ich genau wusste, und Anguela war mir plötzlich völlig gleichgültig. Ich hörte einfach nur zu.
„Du hast Recht, Ikanema", sagte Tratto mit einer Stimme, die mir so tief wie nie zuvor vorkam, „ich war niemals schwanger. Ich habe aus meiner Geburt, die niemals zur Debatte stand, ein Geheimnis gemacht, um von meinem wahren Geheimnis abzulenken ..." Das Sprechen fiel ihr unglaublich schwer, nur die reine Willenskraft befähigte sie überhaupt dazu.
„Tratto", flüsterte ich. „Es ist gut, es ist alles gut, ich kenne dein Geheimnis schon lange. Du bist meine Freundin, meine Freundin..." Ich verstummte und verfluchte meine Hilflosigkeit.
„Dein Geheimnis ist unwichtig", sagte ich. Zärtlich. Leise. Zu einer Sterbenden. „Wichtig ist nur, dass ich dich liebe."
„Ich bin eine Botin des Trümmerimperiums ..."
„Ich weiß, Tratto", sagte ich. „Ich weiß."
Ich fuhr mit der Hand über ihr Gesicht, streichelte sie, versuchte, sie mit dieser Geste zu trösten, doch ich weiß bis heute nicht, ob es mir gelang, ob sie meine Berührung überhaupt noch wahrnahm.
„All die Jahre habe ich versucht, irgendwo Kontakt zu Gleichgesinnten zu finden ... Was aber nicht ...
einfach ist, denn man kann nicht... mal eben Kontakt mit dem Trümmerimperium aufnehmen ... Wenn man seinen Treffpunkt verpasst ... wenn man seine Kontaktperson nicht kennt ... gibt es praktisch kaum eine Chance. Diese Sicherheitsvorkehrungen sind obligatorisch ... denn das Reich jagt das Trümmerimperium schon seit Jahrtausenden."
„Tratto", sagte ich, „ich liebe dich. Ich würde mein Leben geben, um ..."
„Ich bin eine Botin des Trümmerimperiums", wiederholte sie. „Ich habe eine Botschaft, die ich seit vielen Jahren überbringen soll. Aber ich ... habe keine Kontaktperson gefunden ..."
„Tratto", sagte ich und wunderte mich, dass sie überhaupt noch sprechen konnte.
„Im Sektor Roanna wird ein Sternenfenster geöffnet. Konquestor Trah Rogue rüstet eine Flotte von AGLAZAR-Schlachtschiffen aus."
„Tratto", sagte ich. Ich fühlte mich völlig hilflos. Sie starb, und ich konnte nichts tun. In diesem Augenblick änderte sich etwas in mir. Ich verdammte Anguela, aber ich wusste, es war sinnlos.
Ich schrie leise auf.
Anguela war nicht die alles beschützende Macht. Anguela wachte nicht über Tradom und seine Völker.
Anguela sah nicht alles und sorgte nicht für die Lebewesen in ihren Galaxien.
Anguela war nicht die Gottheit, die die Antworten auf meine Fragen hatte. Es gab keine Gottheit. Es gab nur Tratto und mich, und wir beide würden allein sterben und allein bleiben, und Anguela würde uns niemals zu sich holen, und Anguela war nur Lug und Trug.
„Es ist für die Botschaft längst zu spät", hauchte Tratto. „Seitdem sind ... viele Jahre verstrichen. Und ich bin davon überzeugt, dass nicht nur ich allein als Botin losgeschickt wurde. Es sind noch viel mehr Gewährsleute unterwegs. Doch ich bitte dich ... Ikanema ... mein Freund ... Solltest du jemals ein Mitglied des Trümmerimperiums treffen ... gib diese Botschaft wörtlich weiter ... Denn nur dann bekommt mein Tod zumindest nachträglich so etwas wie einen Sinn ..."
In meinen Augen standen Tränen.
Tratto schrie noch einmal auf, und sie sagte etwas, das ich nicht verstand. Und dann etwas, das ich mein Leben lang nie vergessen sollte.
„Jetzt sehe ich gar nichts mehr", stöhnte sie und riss die Augen weit auf und dann den Mund, und sie röchelte und lag da wie jemand, dem ich noch helfen konnte, so schnell starb man doch nicht, jeden Augenblick würden die Mediker kommen, doch sie kamen nicht, und ich versprach, dass ich die Botschaft wortgetreu weitergeben würde, wenn ich nur Gelegenheit dazu erhielt, und so schnell starb man doch, und Tratto starb einfach, sie starb, und in diesem Augenblick starb für mich auch Anguela, und ich war auf einmal allein.
So allein wie nie zuvor in meinem Leben.
Vergangenheit: Die Fahne Ich weiß nicht mehr, ob eine Stunde, ein Tag oder eine Woche vergangen war, als ich mich von der kalten, starren Tratto erhob, von Tratto, meiner Freundin, die von mir niemals die Beachtung bekommen hatte, die sie eigentlich verdient
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