2118 - Quintatha
Andander stand auf, trat hinter Merads Stuhl und legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. „Der Kalfakter ist bei weitem nicht mehr so mächtig, wie er einmal war, Merad. Er wird sich dem Fortschritt nicht mehr lange in den Weg stellen können. Wäre nicht Shirka in letzter Sekunde dazwischengegangen, wären wir ihn sogar jetzt schon los."
Das Natternduell - es war keine spontane Narretei von Aufmar, wie er uns glauben machen wollte, sondern eine von langer Hand vorbereitete Falle!
„In Wirklichkeit ist der Kalfakter längst Geschichte", sagte Andander eindringlich. „Von gestern, nein von vorgestern, genau wie seine Ansichten. Wir alle könnten so viel besser leben, so viel kultivierter und bequemer, würden sich der Kalfakter und seine Anhänger nicht derart stur dagegen wehren, dass der Handel mit den Maschiniten intensiviert wird."
Der Ratspräsident deutete auf die Glühbirnen, die seine Kajüte erleuchteten, viel heller und gleichmäßiger, als es Fackeln oder Öllampen vermocht hätten.
„Aber er hat auf Dauer keine Chance", setzte Andander fort. „Das Rad des Schicksals ist nicht aufzuhalten. Was geschehen muss, geschieht. Eine Bark nach der anderen wechselt in unser Lager. Die nächste könnte die SIRIOS sein, Merad - aber natürlich nur unter neuer Führung."
Merad grunzte. Ihr träumt von geheizten Eisbergen, dachte er sarkastisch, und ich soll dafür den Kopf hinhalten. Eine so deutliche Drohung des Kalfakters in den Wind zu schlagen grenzt an Selbstmord.
„Seine eigene Natter wird ihn aus dem Weg räumen. Er wird sich nicht ewig gegen einen Retourkampf sperren können", sagte Aufmar, als ob er Merads Gedanken gelesen hätte. „Und dann mache ich ihn endgültig fertig."
Der Erste Offizier kreuzte die Arme. „Ewig vielleicht nicht, doch einige Monate oder sogar Jahre allemal", entgegnete er hitzig. „Bis dahin kannst du längst zur Kalten Hölle gefahren sein, Großmaul."
„Da fährt aber jemand anders zuerst!"
Der Ratspräsident breitete die Arme aus. „Bitte, meine Freunde, mäßigt euch. Dies ist eine zivilisierte Bark, keine Spielemesse."
Er setzte sich wieder, nickte einem der anderen Kapitäne zu. Der begann Merad in wohlgesetzten Worten ihren Plan darzulegen.
*
„Die Zeit der Stürme beginnt", sagte Aufmar an diesem Morgen.
Wir frühstückten wie immer an Deck, streng nach Dienstgraden getrennt. Aber Shirka schlief noch in seiner Kajüte, und der Dienst habende Merad nahm es mit den Traditionen nicht ganz so genau, daher wagte es Aufmar, sich für ein paar Sekunden zu mir zu stellen.
Ich folgte seinem Blick. Tatsächlich, der rote Ozean war aufgewühlter als sonst. Felder von niedrigerer und höherer Gravitation wechselten in rascher Folge ab. Auch der Wind hatte merklich aufgefrischt. Starke Böen trieben feuchte Nebelschwaden und faustgroße Rußfetzen über uns hinweg.
„Was bedeutet das?", fragte ich.
„Dass die gemütlichen Wochen vorüber sind. Ab jetzt wird's anstrengend."
Die gemütlichen Wochen?
Hätte ich die Kraft dazu gehabt, hätte ich hell aufgelacht. Zwar hatte ich inzwischen gelernt, mit dem Fieber zu leben, außer wenn mich besonders starke Anfälle für Sekunden in die Knie zwangen, aber die gingen, Anguela sei Dank, meist so schnell wieder vorüber, wie sie gekommen waren.
Woran ich mich jedoch nie würde gewöhnen können, waren einesteils die ungeheuren körperlichen Anstrengungen und andernteils die fast noch furchtbarere intellektuelle Trostlosigkeit. Seit mir mit Salsdertu der einzige regelmäßige Gesprächspartner abhanden gekommen war - durch meine eigene Unbedachtheit! -, fühlte ich mich psychisch mindestens ebenso unter- wie physisch überfordert.
Zudem lief, wenn ich richtig mitgezählt hatte, Shirkas Dreimonatsfrist in wenigen Tagen ab.
Die Zeit der Stürme beginnt...
Plötzlich ertönte Geschrei vom Vorderschiff. Die Aufregung pflanzte sich wie eine Welle bis zu uns fort.
„Maschiniten!"
„Die Maschiniten kommen!"
„Seht doch! Da!"
„Ruhe! Alle Mann auf ihre Positionen!", übertönte die von einem Megaphon verstärkte Stimme des Ersten Offiziers das Durcheinander. „Schnell, sagt dem Kapitän Bescheid! Beeilt euch, ihr Schlafmützen, wenn ihr nicht die Peitsche spüren wollt!"
Von einer roten Woge herab, die mir höher vorkam als die meisten Berge auf Terra, näherte sich ein Schiff.
Es war eine bauchige, etwa dreißig Meter lange, in weißer und gelber Farbe angestrichene Konstruktion, eindeutig keine
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