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212 - Beim Stamm der Silberrücken

212 - Beim Stamm der Silberrücken

Titel: 212 - Beim Stamm der Silberrücken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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zwischen Büschen und Bäumen. Sie schien nicht zum ersten Mal zu dieser Insel geschwommen zu sein. Neben ihr sah Rulfan einige zu einem Kreis geordnete große Steine und in dem Kreis verkohltes Holz und Asche. Zwei Schritte vor ihr ließ er sich im Sand nieder.
    Sie beobachtete jede seiner Bewegungen.
    »Rulfan«, sagte er und legte die Hand auf seine Brust.
    Sie benutzte die gleiche Geste und sagte: »Lay.« Sie hatte eine sehr raue Stimme.
    »Lay also…« Kaum vermochte er seine Blicke von ihrem schönen Gesicht und ihrem herrlichen Körper zu lösen.
    »Wir wollen die Gefangenen zurück, alle!«, erklärte er.
    »Und die Tiere natürlich auch!«
    Sie hatte muskulöse Schenkel, Arme und Schultern. Ihre Beine waren sehr lang, ihr Mund groß und voll, ihre Augen schwarz. Ihre Brüste sahen aus wie zwei schwarz lackierte Blütenkelche. »Wenn wir sie wiederhaben, verschwinden wir, und die Sache ist erledigt. Wenn nicht, werden wir eure Anführer gefangen nehmen und zum Kaiser bringen.«
    Ihre Augen ruhten auf seinem Gesicht. Sie wirkte hochkonzentriert, aufmerksam musterte sie ihn.
    Rulfan hatte nicht die geringste Ahnung, ob sie ihn verstanden hatte. An ihr vorbei blickte er zum andern Flussufer. Einige Schwarzpelze waren in die Baumkronen am Ufer geklettert, andere hockten im seichten Wasser, wieder andere stapften unruhig auf und ab. Alle äugten sie herüber zur Insel.
    Er betrachtete ihre Narbe. Alt sah sie nicht aus, es konnte erst höchstens ein paar Wochen her sein, dass ihr jemand diese große Wunde zugefügt hatte. Warum nur wurde er das Gefühl nicht los, dieser Frau schon einmal begegnet zu sein?
    Plötzlich richtete sie sich auf, ließ sich über ihre Knie hinweg auf ihre Fäuste sinken und kroch auf allen Vieren zu ihm. Wie ein Tier beschnupperte sie ihn erst und betastete dann sein Gesicht, seine Arme, seine Brust und seine Hüften. Dabei gurrte und knurrte und seufzte sie, dass es Rulfan ganz seltsam zumute wurde.
    Direkt vor ihm ließ sie sich zurück auf die Fersen sinken.
    »Du…« Eigenartig entspannt, fast weich wurden ihre Züge auf einmal. »Kenn dich, du…«
    Rulfan stockte für einen Moment der Atem. Er neigte den Kopf auf die Schulter. Sein Herz klopfte plötzlich. »Was sagst du da?« Eine Empfindung, die er möglicherweise aus alten Zeiten kannte, aber gründlich vergessen hatte, strömte plötzlich durch seine Glieder und verunsicherte ihn. Was war es, das ihn so anzog an dieser Frau? Was für ein Zauber ging von ihr aus?
    »Du«, sagte sie. »Schau.« Langsam – fast feierlich langsam – hob sie die Rechte, berührte mit zusammengelegten Fingerspitzen die Stelle in ihrem kurzen Kraushaar, an der vermutlich die Narbe begann, und fuhr dem vernarbtem Gewebe entlang über ihre Gesicht bis hinunter auf ihre Schulter. »Rulfan«, sagte sie und nickte. »Du bist es…«
    Sein Blick fiel auf ihre langen schmutzigen Fingernägel, und schlagartig durchfuhr es ihn siedend heiß. Das waren die Fingernägel, die ihn fast umgebracht hätten! Ihm war auf einmal, als hätte jemand einen dunklen Vorhang aufgezogen, um ihm auf einer hell erleuchteten Bühne zu zeigen, woher er die Frau kannte.
    Wie lange war es her? Zehn Wochen? Drei Monate? Er hatte gegen sie gekämpft, im nächtlichen Dschungel von Kenia war es gewesen! Sie hatte ihn angesprungen, er hatte mit dem Säbel zugeschlagen, den er damals noch besaß. Hätte diese wendige Frau sich nicht im letzten Moment geduckt, wäre der Hieb sicher tödlich gewesen. Schaudernd erinnerte Rulfan sich an den Augenblick, als er die Säbelklinge in Fleisch dringen spürte und warmes Blut ihm ins Gesicht spritzte. [3]
    Kopfschüttelnd hockte er vor ihr und staunte sie an. »Du warst das…?« Er konnte es nicht fassen. »Wir haben kaum was gesehen, nicht wahr? Es war ja Nacht…«
    Er dachte an die Kraft, mit der sie nach der schweren Verwundung noch seine Hüfte umklammert und ihn in die Dunkelheit des Unterholzes gerissen hatte. Der Säbel war ihm entglitten, sonst hätte er ein zweites Mal zugeschlagen.
    Deutlich erinnerte er sich, wie er in ihr langes krauses Haar gegriffen hatte. Vermutlich hatte es ihr später jemand abgeschnitten, um die tiefe Wunde versorgen zu können. Und plötzlich war ihm auch jener schwere, süßliche Geruch wieder gegenwärtig, den er damals gerochen hatte. Er hatte ihren Hals erwischt, doch sie hatte ihm in den Bauch getreten und ihm dann ihre langen Nägel durch das Gesicht und über die Haut der Arme und Hände

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