212 - Beim Stamm der Silberrücken
»Solange ich hier etwas zu sagen habe, wird das nicht geschehen.«
»Verdammt, Tom!«, rief Carol. »Hör auf zu träumen! Sieh den Fakten in die Augen!« Weil sie laut geworden war, fing ihr Kind an zu schreien. »Wir leben nicht mehr in einer westlichen Zivilisation, wir leben im Dschungel! Wir leben in der Hölle!«
Leila sprang auf, schob sich an Percival vorbei, stieß Goodman zur Seite und rief dem Major zu: »Lass sie rein, Mogg! Alles andere wird uns teuer zu stehen kommen!«
»Packt sie!«, schrie Goodman wutentbrannt. »Packt sie alle drei und werft sie hinaus zu dem stinkenden Nomadenpack! Und alles, was schwarz ist in dieser Maschine, werft gleich hinterher!«
Eine einzige Bewegung ging durch die Männer und Frauen.
Bis eben noch hatten sie wie erstarrt gelauscht, jetzt fuhren sie von ihren Lagern hoch, sprangen auf den Mittelgang und stürzten sich auf Percival, Leila, Major Mogbar und die etwa fünfzehn schwarzafrikanischen Männer und Frauen in der Boeing.
Leila schlug um sich, kratzte und biss. Vier Männer waren nötig, um sie zu bändigen und zu fesseln. Percival leistete so gut wie keinen Widerstand. Jede Form von Gewaltanwendung war ihm zuwider und unter seiner Würde. Mit hocherhobenem Haupt ließ er sich fesseln und an Goodman und Carol Berger vorbei abführen. »Wenn Sie das tun, wird Ihr Gewissen Ihnen keine ruhige Minute mehr gönnen, Kevin!«
»Schau’n wir mal.« Auch die schwarzen Frauen und die meisten schwarzen Männer wehrten sich nicht. Den heftigsten Widerstand leisteten Major Mogbar und Leutnant Daniel Kayonga. Auf Kayongas Schädel zertrümmerten sie eine leere Weinflasche, danach verlor er das Bewusstsein und sie konnten ihn fesseln. Mogbar schlug drei Männer nieder, bevor er selbst von einem Fausthieb benommen zu Boden ging. Sie stülpten ihm eine alte Ledertasche über den Kopf und fesselten ihn mit zwei Schwimmwesten.
»Gebt ihnen Decken und Felle mit, damit sie nicht erfrieren!«, rief Carol Berger. »Und ein paar Flaschen Wasser auch!«
»Sollen sie Schnee fressen!«, zischte Goodman.
Zwei Frauen rissen die Luke auf. Die Massai unter dem Äffenbrotbaum sahen es und kamen herbei gelaufen. Hastig stießen die Wrackbewohner das britische Paar und die Schwarzafrikaner auf die Rutschrampe. Einige Frauen und Kinder warfen Bündel aus Decken und Fellen hinterher.
Danach schlugen sie die Luke zu und verriegelten sie von innen.
Im schmutzig-grauen Schnee vor der Maschine richtete Percival sich auf den Knien auf. Die dick in Fell vermummten Massaikrieger kamen auf sie zu. Den Schwarzafrikanern schnitten sie nacheinander die Fesseln durch. Drei von ihnen waren tot, Kayonga tief bewusstlos. Zum Schluss standen die Massai vor Percival und Leila. Die Messer in ihren schwarzen Fäusten waren lang und hatten Rostflecken. Ihre Gesichter waren feindselig.
»Tötet uns nicht«, flüsterte Leila. »Bitte…«
Major Mogbar war wieder zu sich gekommen. Er redete auf die Massai ein. Offenbar verstand er ihren Dialekt. Später stellte sich heraus, dass er selbst ein Massai war. Er wurde laut und energisch. Als die Krieger ihre Klingen noch immer nicht sinken lassen wollte, schlug er einem ins Gesicht, entriss ihm den Dolch und befreite Percival und Leila von ihren Fesseln.
Die Massai akzeptierten. Warum, begriffen Leila und Percival nicht. Vielleicht wegen des Gewehrs auf seinem Rücken.
Später bauten die Massai ihren Unterstand ab und brachen auf. Die Toten und den bewusstlosen Kayonga nahmen sie mit.
Das britische Paar und die Schwarzafrikaner aus dem Flugzeug schlossen sich der Horde an. Durch den kniehohen Schnee stapften sie in die Dunkelheit.
***
Kilmaaro, März 2524
Nach zwei Kilometern etwa verbreiterte sich der Fluss. Kurz darauf sahen sie eine schmale Insel in seiner Mitte. Knapp vierzig Meter trennten sie von jedem Ufer.
»Sie schwimmt hinüber.« Matt beobachtete die Gorillas und die Menschen auf der anderen Flussseite. Die schwarze Frau sprang ins Wasser.
»Hat sie eine Waffe mitgenommen?«, wollte Lysambwe wissen.
»Nein.« Matt Drax schüttelte den Kopf. »Wenn sie Rulfan töten wollte, müsste sie es mit ihrem Lendenschurz tun.«
Die Männer grinsten. Rulfan suchte das Wasser und das Ufer mit den Augen ab, während er sich auszog. Nirgendwo entdeckte er ein Krokodil oder ähnliches Getier. Er watete ins Wasser und schwamm zu der kleinen Insel hinüber.
Die Frau erwartete ihn bereits. Nass und mit gekreuzten Beinen hockte sie auf einer sandigen Stelle
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