212 - Beim Stamm der Silberrücken
Fenster.
»Wie ist Tom gestorben?«, fragte sie mit hohler Stimme.
»Wie er gelebt hat«, sagte Major Mogbar. »Mutig, entschlossen und frei.«
»Frei?« Sie runzelte die Stirn und sah ihn an.
»Ja, frei. Als freier Mann und aus freiem Entschluss.«
»Wie meinst du das, Mogg?«
»Wir haben neulich Sprengstoff im hinteren Laderaum gefunden. Den trug Tom in seinem Rucksack. Er und Bukkar gingen allein aufs Eis.«
»Und dann?« Leilas Stimme zitterte.
»Sie lockten die Tiere hinter sich her auf den See hinaus. Irgendwann verloren wir sie aus den Augen. Die Explosion hast du sicher gehört. Er und der Gorilla wollten sich nur solange verteidigen, bis sich möglichst viele der Raubpelze um sie zusammengerottet hatten. Dann wollte Tom die Zündung auslösen.« Mogbar zuckte mit den Schultern. »Nun, so hat er’s wohl auch gemacht. Die wenigen Löwen und Hyänen, die zurückkamen, waren verletzt oder so verstört, dass wir leichtes Spiel mit ihnen hatten.«
»Tom hat sich…« Leila schluckte. »Du willst sagen, Tom hat sich für uns…« Ihre Stimme versagte. Sie sank an Mogbars Brust zusammen und weinte bitter.
Major Mogbar zog sie an sich und streichelte sie. »Tom und Bukkar, ja…«
***
Kilmaaro, März 2524
Der Sandboden der kleinen Insel erzitterte. Der schwarze Hüne schwang die Keule und hob den Speer. Vierzig Schritte höchstens trennten ihn noch von dem Paar. Rulfan, der noch nicht begriff, dass der Angriff einzig und allein ihm galt, folgte einem Reflex und warf sich schützend auf die schwarze Frau.
Borr ließ den schon zum Wurf erhobenen Speer sinken, denn er wollte natürlich die Frau nicht verletzen. Er blieb stehen und knurrte grollend, pumpte seinen gewaltigen Brustkorb auf und brüllte: »Mein, mein!« Er betrachtete Lay längst als seinen legitimen Besitz.
Lay aber schlang in einer spontanen Geste ihre Arme um Rulfan. »Nicht, Borr!«, rief sie »Weg, Borr!«
Doch der Hüne brüllte nur noch mehr und sprang heran. Lay riss Rulfan um und trat nach dem Knie des Gorillamutanten. Er stürzte in den Sand.
Mit weit aufgerissenen Augen sah die schwarze Frau den Albino an und stieß keuchend ein paar flehende Worte aus. Die wenigsten davon verstand Rulfan, doch er erfasste genau, was sie ihm sagen wollte: Ich hab dich gerade erst gefunden, wollte sie sagen, ich will dich nicht schon wieder verlieren! Sie schob ihn zum Fluss und gab ihm zu verstehen, dass er fliehen sollte.
Jetzt erst begriff Rulfan, dass der Mammutgorilla es nur auf sein Leben abgesehen hatte. Aus Eifersucht! Er stieß die junge Frau zur Seite, denn Borr war längst wieder auf seinen säulenartigen Beinen. Die Keule in der schwarzen Faust, stürmte der Gorillamutant heran.
Rulfan sah das weiße Schiefergestein in der Keule blitzen; wie eine Klinge ragte es aus dem Holz. Er hechtete zwei Schritte weiter, wo die Feuerstelle war, richtete sich auf und packte einen kopfgroßen Stein. Aus den Augenwinkeln sah er die Gorillas im Ufergras stehen. Sie brüllten, schwangen die Fäuste und klatschten in die Pranken. Offenbar machte ihnen der Zweikampf mächtig Spaß.
Rulfan holte aus, schleuderte den Stein und traf Borr an der Brust. Der Gorilla brüllte auf, strauchelte kurz und stürmte dann weiter. Nur vier oder fünf Schritte trennten ihn noch von seinem menschlichen Rivalen.
Rulfan packte den nächsten Stein, schleuderte ihn, warf sich zur Seite und rollte sich ab. Diesmal hatte er den Gorilla an der Stirn getroffen. Borr sackte grunzend in die Knie und schüttelte sich, als müsste er einen Schwarm Fliegen vertreiben.
Lay warf Rulfan den Speer des Gorillamutanten zu. Der weiße Mann aus Salisbury fing ihn auf, stemmte sich aus dem Sand hoch und griff an. Blitzschnell holte Borr aus – die Keule wirbelte durch die Luft und traf Rulfans linke Schulter.
Der Schmerz schien ihn bis hinunter in die Zehenspitzen zu durchschneiden. Er schrie auf. Der Gorilla aber wankte heran.
Rulfan sah, dass er aus einer Wunde in der Stirn blutete. Borr nahm Anlauf, sprang ab und riss den viel kleineren und leichteren Gegner zu Boden.
Der Schmerz in der Schulter durchzuckte Rulfan. Er schlug im Sand auf. Das Gewicht des anderen presste im die Luft aus der Lunge, und die Welt versank in dunkelster Nacht…
***
Südufer des Amboselisees, Kenia, Juli 2038
Winter und Sommer waren nicht mehr zu unterscheiden; weniger noch als Tag und Nacht. Die Temperaturen stiegen nur noch selten über vier Grad Celsius. Das Eisloch auf dem See offen zu halten,
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