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212 - Beim Stamm der Silberrücken

212 - Beim Stamm der Silberrücken

Titel: 212 - Beim Stamm der Silberrücken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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zu der kleinen Insel hinüber.
    Matt beobachtete, wie sein Blutsbruder und die schwarze Amazone sich einander gegenüber setzten. Die Frau legte den Schädel Ahmads vor sich ab. Es war nicht schwer zu erraten, wie ihre Antwort auf Rulfans Forderung ausfiel. Matt Drax erwartete ein kurzes Gespräch.
    Er täuschte sich. Die Minuten schlichen dahin und nach einer knappen halben Stunde fasste die Frau den abgeschlagenen Schädel, legte ihn hinter sich ab und rückte näher an Rulfan heran.
    »Was zum Teufel haben sie denn noch zu verhandeln?« Mit grimmiger Miene beobachtete Lysambwe die beiden Menschen auf der kleinen Insel. »Kann man eine deutlichere Kriegserklärung überbringen als den Schädel eines Gefangenen?« Insgeheim fragte er sich, wie sein gerissener Bruder es wohl angestellt hatte, dass die Botin nicht seinen Kopf überbracht hatte.
    »Schaut euch das an!«, rief Rönee aus der Baumkrone. Er deutete flussabwärts. Dort stieg ein riesenhafter Gorilla in den Fluss und tauchte unter.
    ***
    Rulfan starrte den abgeschlagenen Schädel an. Er hatte den Mann gekannt. Er hatte Seite an Seite mit ihm gegen die Gruh gekämpft! »Was seid ihr für Bestien, verflucht…!« Er war enttäuscht und wütend.
    Sie gab ihm zu verstehen, dass sie nur die Botin des Territorialherrn wäre und lediglich eine Botschaft zu überbringen hatte. Die Botschaft allerdings ließ an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig: Schau dir diesen Schädel an – so wird es allen Gefangenen gehen, wenn ihr nicht schnell aus dieser Gegend verschwindet.
    So klar diese Botschaft war, so rätselhaft war, was dann folgte. Sie sprach von einem, den sie »Borr« oder »Subabak« nannte. Sie beschimpfte ihn als böse und grausam und gab zu verstehen, dass sie mit ihm nichts zu tun haben wollte, auch nicht aus seinem Jagdrevier stammte. Irgendwann räumte sie den Schädel weg, rückte näher und wollte gar nicht mehr aufhören zu erzählen.
    Rulfan verstand wahrhaftig kaum die Hälfte der vielen Worte, die plötzlich aus ihrem entzückenden Mund kamen, doch er begriff, dass Menschen und Gorillas seit vielen Generationen in einer Art Symbiose miteinander lebten. Sogar die drei wichtigsten Gesetze dieses merkwürdigen Bündnisses glaubte er zu verstehen: Menschen und Zilverbaks paarten sich niemals miteinander. Menschen geben ihr Leben für Zilverbaks, und Zilverbaks geben ihr Leben für Menschen.
    Und schließlich – jede Beute wird in genau so viele Anteile geteilt, dass jeder Mensch und jeder Zilverbak des jeweiligen Stammes genug hat.
    Der Führer – der Subabak – der Kilmaaro-Zilverbaks aber, auch das verstand Rulfan, brach diese Gesetze. Vor allem aber begriff er plötzlich eines: Er genoss jeden Atemzug in der Nähe dieser rätselhaften Frau.
    »Du hast mich verzaubert«, sagte er heiser, als sie zwischen all ihren Worten einmal Luft holte. Sie lächelte, beugte sich vor und griff nach seiner Hand. Rulfan hielt den Atem an. Sie nahm seine Hand, führte sie zu ihrem Gesicht und legte sie auf ihre Narbe. Rulfan beugte sich vor, streichelte ihre Wange, strich ihr durch das Haar, streichelte ihren Hals und ihre Schulter. Etwas war mit ihm geschehen. Konnte sie vielleicht wirklich zaubern? Oder hatte eine seltene Form von Wahnsinn ihn erwischt? Oder wirkte gar die Liebesdroge der Stadtherrin Crella Dvill in ihm nach? [4] Plötzlich brüllte jemand, und Wasser rauschte. Beide fuhren sie herum: Ein hünenhafter Gorilla stemmte sich aus dem Wasser. Zwischen seinen Zähnen klemmte eine Keule, in einer Scheide auf seinem Rücken steckte ein Spieß.
    »Borr!«, schrie Lay wütend. »Schlimmer Borr! Weg! No!«
    Der schwarzpelzige Hüne aber hörte nicht. Er nahm die Keule aus dem Rachen und riss den Speer aus der Scheide.
    Brüllend stürmte er Rulfan entgegen.
    ***
    Südufer des Amboselisees, Kenia, Juli 2021
    »Lai, Lai…« Jemand berührte sie sanft an der Schulter.
    Leila öffnete die Augen. Ein schwarzes Gesicht wie aus Knautschleder beugte sich über sie. Bora, die Älteste der Gorillafrauen. »Layi, Layi«, grunzte sie und reichte ihr das Mädchen. Leila richtete sich auf, entblößte ihre Brust und legte ihre Tochter an. Diana nahm den Daumen aus dem Mund und saugte die Brustwarze ein.
    Auf den Namen ihrer Mutter hatte Leila ihre Tochter getauft: Diana. Leila glaubte nicht, dass sie noch lebte. Mit Wehmut erinnerte sie sich an die alte Diana Dark. Bora hatte die Rolle der Großmutter für die Kleine übernommen. Die Affen rissen sich darum, das

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