212 - Das Skelett (German Edition)
Ihre kleinen Brüste und einiges andere hätte ich verschönern können.
Wenn sie denn ein gesunder Mensch mit Perspektive gewesen wäre und dieses gewünscht hätte.
Aber sie war nun mal dem Tod e geweiht, auch ohne mein Zutun. Also wollte ich es nur noch hinter mich bringen.
Bei Charlotte gab es sogar eine reguläre Patientenaufnahme mit angeblicher Aufklärung, Dokumentation und ausgedachter körperlicher Untersuchung für die Patientenakte. Ich hatte vorab alle erforderlichen Daten von Dawid erhalten, natürlich auch eine Einwilligung zu ihrer gewünschten Nasenkorrektur.
Keine gewohnten Geräusche, kein vorbereitetes steriles Instrumentarium, niemand um mich herum , der mir half oder zuarbeitete. Mein Patient sah auch nicht so aus wie sonst, sie trug kein OP-Hemd und Haube, sie wurde nicht für mich vorbereitet – ich zögerte. Sie war kein Patient! Deshalb war sie nicht an Überwachungsmonitore angeschlossen und wurde nicht der Anästhesieeinleitung zugeführt und gelagert. Ich sah keine sterilen Tücher um das OP-Feld herum. Meine sonst so ruhigen Hände zitterten, ich hörte ihren Atem. Und ein leises Schnaufen meiner nervösen Nasenflügel. Ich war seltsam berührt, nun musste ich endlich beginnen, sonst würde ich noch abbrechen. Das konnte ich aber nicht mehr. Was hatte Artjom einmal zu mir gesagt:
„Ein Einzelner hat keine Bedeutung.“
Ich nahm ihren zarten Arm und setzte ihr eine Kanüle – mit ausgeschaltetem Gehirn injizierte ich ihr eine große Menge Propofol.
Ich hatte erst kürzlich gelesen, dass die Amerikaner erwogen, ihre zum Tode verurteilten Schwerverbrecher mit Propofol zu exekutieren. Just in diesen Sekunden hatte ich eine junge Belgierin exekutiert!
Dann ließ ich sie allein sterben, weil ich einfach zu feige war, mir ihren gleich zu erleidenden Schockzustand anzusehen.
Ihr Multiorgan versagen, das Verkrampfen ihres Körpers würde mir zu nahe gehen, diese Bilder wollte ich nicht in meinem Kopf behalten.
So verließ ich mit wackeligen Beinen meine zuvor so geliebte Umgebung und betrat mein luxuriöses Büro in der ersten Etage.
Mein erster Blick blieb natürlich an meinem Kunststoffskelett in der Ecke hängen.
Ich trat es wütend um, nun begann ich zu würgen und musste das Bad aufsuchen.
Ich erbrach alles , was ich in den letzten Wochen an kulinarischen Köstlichkeiten vertilgt hatte – so fühlte ich zumindest. Es dauerte eine Weile, bis ich wieder aufstehen konnte, ich spürte jeden einzelnen Knochen, meine Muskulatur war angespannt. Als wenn ich Schwerstarbeit verrichtet hätte. Irgendwie, eher wie in Trance, füllte ich den Totenschein aus. Den brauchte der Bestatter, der schon in einer Stunde hier erscheinen würde. Nicht nur die Zeit war mir entglitten, alles war ja so perfekt geplant.
Als ich w ieder den OP-Saal betrat, lag Charlotte auf dem harten und kalten Fliesenboden, ich hatte vergessen, sie zu fixieren. Meine Leichenschau rang mir einiges ab. Charlotte hatte sich noch eine Fraktur zugezogen und war definitiv tot. Ich schrie wilde Flüche heraus, gegen mich und gegen den Rest der Welt, einschließlich den da oben. Ich dachte, dies waren die schlimmsten Stunden meines Lebens, falsch.
Noch in dieser Nacht wurde Charlotte Rosenberg nach Antwerpen überführt. Ohne gro ßes Aufsehen oder irgendwelche Probleme. Sie sollte in aller Stille nur im Beisein von Angehörigen und wenigen Freunden in drei Tagen beerdigt werden, so wurde es mir gesagt. Natürlich nicht Charlotte Rosenberg, sondern zweiundfünfzig Kilo Pflastersteine. Denn sie sollte ja noch bearbeitet werden – von mir, in Antwerpen, im Kellergewölbe ihres Geburtshauses. Diese Räumlichkeiten wurden schon nach meinen Vorgaben hergerichtet.
Ein Tierpräparator mit großer Erfahrung sollte mir zuarbeiten. Er würde sie erst einmal konservieren und für mich frisch halten. Damit ich sie dann anatomisch perfekt filetieren konnte.
Den Rest würde der andere nette Herr dann erle digen.
Die Knochen von Muskelfasern, Bindegewebe und anderes Unnötige befreien und reinigen, das Skelett zusammenfügen und aufständern.
Wie tief kann ein Mensch nur sinken?
Artjom hatte mir erst kürzlich erzählt, er kenne Leute ohne jegliche Skrupel, die würden Menschen für hundert Dollar auseinandersägen.
Und das bei lebendigem Leib. Ohne jegliche Emotionen zu zeigen, ohne Reue.
Und ich? Da kratzte jemand mit einem Bündel Geld an die Gitter meines Käfigs, öffnete ein imaginäres Schloss und ließ
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