212 - Das Skelett (German Edition)
und erfundene Geschichten zu erzählen, mit einem niedrigen oder gar hohen Wahrheitsgehalt nach Belieben zu mixen. Er war nur schwer zu durchschauen. Ihm war so gut wie alles egal, für ihn gab es schon lange keine einschränkenden Regeln mehr, nur seine eigenen, und die ganze Menschheit hatte sich danach zu richten.
Artjom sah mich nur als Persönlichkeit, die all das verkörperte, wovon er wohl schon als kleiner Junge immer träumte und welches man sich für Geld, mehr oder weniger nicht kaufen kann.
Ich war ein kultivierter, gebildeter, gut aussehender Mann, mit einem Studium und einem Arztberuf versehen, der in der Gesellschaft einen hohen Stellenwert hat, angesehen und respektiert ist. Vor ihm hatten die meisten nur Angst oder ließen sich von seinem Geld vereinnahmen.
Eigentlich hatte ich ihm meine wohlklingenden Eigenschaften schon längst übertragen, zumindest kam es mir so vor. Artjom hatte mich mit Haut und Haaren vereinnahmt und wollte mich einfach nur um sich haben. Verfügbar, vorzeigbar und für seine Ziele steuerbar. Ein wahrlich lang ersehntes Spielzeug und wohlschmückendes Sammlerstück, welches er zuvor noch nicht besaß. Einen Chirurgen. Was hatte er mal gemeint?
Er würde schon lange nicht mehr exotische , einmalige Gegenstände sammeln.
Das stimmte wohl , seine Sammelleidenschaft hatte sich nur verlagert - auf Menschen!
Mein angeschossenes Boot wurde in dieser kurzen Zeit runderneuert und auch noch verschönert. Einige jener Natursteine hatten den Weg in das Bad meiner genutzten Kabinensuite gefunden. Das war Hexerei!
Es beweis t nur, was Geld so alles bewirken kann. All das Schöne verschloss sich mir, es interessierte mich nicht mehr im Geringsten.
Wieder im kühlen Hamburg angekommen, stürzte ich mich in den Klinikalltag und war dankbar über jede OP. Über jede Kleinigkeit, die mich magisch anzog und mich beschäftigte. Manche Tage hielt ich mich vierzehn Stunden und mehr in der Klinik auf. Das empfand ich nun als positiven Stress, es lenkte bemerkenswert ab. Ich verschlang schon nach dem Aufwachen und am Tage übermäßig viel Aufputschmittel und am Abend reichlich Schlaftabletten, um überhaupt einschlafen zu können. Diese Prozedur, über längere Zeit, hätte mich auch umgebracht.
Kapitel 2 7
Artjom und Michail wollten mich über Weihnachten und Neujahr mit nach Moskau nehmen. Bei ihnen würden die orthodoxen Weihnachten am sechsten Januar gefeiert werden. Ihre Heimatstadt wäre zu dieser Zeit wunderschön, das glaubte ich gern. Sogar Michails Augen glänzten, als die beiden davon erzählten.
Ich konnte mich dem entziehen, meine Familie musste herhalten. Sie verstanden es, da die Familie über alles geht! Dann sollte ich wenigstens ein Target-Model buchen, um nicht allein zu sein. Auch das wollte ich nicht, noch weniger, dass sie von meiner Impotenz erfahren würden. Oder wussten sie es schon? Drohnen? Spionagesatelliten? Füller? Wanzen? Ich spann mir Unsinniges zusammen, obwohl Artjom mir doch sein Wort gab, mich nicht mehr zu überwachen. Hahaha! Er hinterließ mir noch ein kleines Geschenk, eine Aufgabe, welche mir zu schaffen machte. Es wäre unumgänglich - das sah ich nicht so.
Aber wie konnte ich es umgehen? Gar nicht!
E ine weitere Kleinigkeit war Fakt, sie hatten mir einen Schatten in Hamburg hinterlassen. Einen Personenschützer, der auf mich aufpassen sollte. Ich nahm es hin, er hielt sich dezent zurück und hielt Abstand. Das hatte ich mir erbeten – er hielt sich daran. Manchmal sah ich ihn gar nicht, wähnte ihn aber in meiner Nähe. Sein Vorname war Matwei, groß und schlank, nicht solch ein Muskelprotz wie die Kosaken. Richtig kennenlernen wollte ich ihn dennoch nicht. Sicherlich war er ein Spezialist seines Faches.
Ich litt wie ein Hund und durfte es nicht nach außen tragen. So verbrachte ich die Weihnachtstage allein in meinem Loft. Das erste Mal allein ohne eine geliebte Person um mich herum. Meiner Mutter schickte ich eine SMS und wünschte ihnen frohe Weihnachten, dass ich mit Martha nach Brasilien fliegen und erst Ende Januar wieder zu Hause sein würde.
Es kam keine Antwort, das wunderte mich nicht.
Ich brach mit einer langjährigen Tradition. Heilig abend wurde immer im Kreise vieler Verwandten bei meinen Eltern gefeiert.
Das tat weh .
Aber ich wollte meinen Eltern nicht mehr in die Augen schauen, ich schämte mich zu sehr. In dieser besinnlichen, rührseligen Stimmung hätte ich mich höchstwahrscheinlich meiner Mutter offe
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