212 - Das Skelett (German Edition)
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Ihre Fragen kämen einer Seelenkernbohrung gleich , und wenn sie nach Martha gefragt hätte, wäre ich zusammengebrochen. Einen öffentlichen Nervenzusammenbruch musste ich unter allen Umständen vermeiden.
Ich legte mir einen großen Vorrat Wodka zu und betrank mich zwei Tage lang exzessiv. Kann man Kummer ertränken? Nein! Es wurde nicht besser, also trank ich noch mehr, kurz vorm Delirium hörte ich irgendwie auf und schlief endlich ein.
Mit höllische m Kopfhämmern wachte ich am zweiten Feiertag frühmorgens auf. Meine Wohnung sah aus, wie eine Müllkippe. Aufgerissene Pizzakartonagen mit Resten, geleerte Flaschen, umherliegende Kleidung, Erbrochenes und umgeschmissene Möbel und Pflanzen. Eine Steigerung von London.
Ich erkannte mich selbst nicht mehr, in mein em ganzen Leben hatte ich mich noch nie so gehen lassen. Wie berauscht räumte ich das Chaos auf, kultivierte mein pennerhaftes Äußeres und begann diese Zeilen auf meinem Laptop zu hämmern. In den nächsten Tagen trank ich nicht einen Tropfen und sah alles klar vor mir. Die Lösung all meiner Probleme lag offen wie ein Buch vor mir.
Ein Manuskript der ereignisreichsten, abenteuerlichsten und grausamsten Monate meines Lebens musste ich noch zwanghaft zu Papier bringen. Es befreite mich von meiner extremen Last.
Ich meldete mich ordnungsgemäß in d er Klinik ab und regelte in wenigen Tagen meinen Nachlass. Mein Schatten war immer noch da, wahrscheinlich hatte er Weihnachten in seinem Auto vor meiner Haustür verbracht.
Gleichgültig , es war null und nichtig.
Ich b ereitete akribisch meinen Abschied von dieser Welt und jenem seltsamen Weg, den ich eingeschlagen hatte, vor.
Einem Operationsplan ähnlich, skizzierte ich alle vermeintlich wichtigen letzten Aufgaben, aber mit Bedacht. Meine letzten Gehirnzellen, die ich noch nicht totgesoffen hatte, die letzten, die noch nicht von Artjom belegt waren, hatten viel zu tun. Ich musste mir sicher sein, dass mein Plan gelang, wie ich es wollte, und mein Meister ihn nicht noch durchkreuzen konnte.
Das Schreiben und Verfassen war schwerer als ich dachte, die Zeit verrann, und ich musste meinen Zeitplan ändern. Schade, denn ich hätte Artjom auch gern ein kleines Geschenk zum sechsten Januar übersandt, die Nachricht von meinem Ableben!
Es war nun absehbar, dass ich das Manuskript nicht bis zu diesem Tag fertigbekommen konnte. Zwischendurch musste ich auch noch einen Termin bei einem unbekannten Notar zwecks Testament und Verfügungen organisieren. Dann musste ich für ein paar liebe Menschen Geschenke kaufen, es war ein kurzer Horrortrip. Ich hatte noch nie Geschenke gekauft, das haben immer andere für mich erledigt. Wie anstrengend, aber auch erfüllend solche Erledigungen sein konnten, war eine letzte schöne Erfahrung. Aber all die Dinge, die ich für wichtig erachtete, nahmen mir Zeit, sie verrann nur so.
Noch ein letztes Mal rief ich meine beiden besten Freunde in Moskau an. Das war am sechsten Januar, ich wünschte ihnen frohe Weihnachten, sie freuten sich wirklich. Ich hatte mir diese Weihnachtsgrüße in Russisch herausgesucht und zitiert. Artjom freute sich und lachte laut, dass ich fast mein Handy weggeschmissen hätte. Als Letztes erzählte ich ihm, dass ich mich um das letzte Detail kümmern würde, ich hätte die Fährte aufgenommen. Bis Ende Januar würde ich alles erledigt haben. Es würde sich wahrscheinlich nur kurzfristig verschieben. „Das wäre doch kein Problem“.
Danke , lieber Artjom!
Er war sich sicher, dass ich sogar diese Gräueltat auch noch locker und leicht ausführen und zur Tagesordnung übergehen würde.
Bevor sie abgeflogen waren, hatte er mir für den zu ersetzenden Oberarmknochen an Charlottes Skelett , eine Frist bis Mitte Januar gesetzt. Er könne Dawid Rosenberg nicht länger hinhalten - Blablabla.
Es ging nur ums Prinzip!
Als wenn ein Artjom Chlebnikov sich von irgendjemand unter Druck setzen lassen würde? Schöne Geschichte …
Damit hatte er mich dermaßen unter Druck gesetzt, d ass ich für mich entschied, es hier und bald zu beenden. Sein Nerventerror würde nie enden, er würde mich die nächsten Jahre zu einem willenlosen Werkzeug mutieren lassen. Ach Pardon, das war ich doch schon längst! Für ihn war es nur ein Spiel, um zu sehen, wie weit ich noch gehen würde. Wahrscheinlich rechnete er sogar damit, dass ich es gar nicht fertigbringen würde. Es ging ihm nur darum, mich klein zu machen, mich zu erniedrigen. Als er mir
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