212 - Das Skelett (German Edition)
Stadt.
Ich trug ihr noch auf, dass ich die nächste halbe Stunde meine Ruhe bräuchte und sie mir alle Anrufe oder sonstige Begehren vom Halse halten möge. Sie würde meine Bastion mit ihrem Leben verteidigen – schöne markige Worte.
Als Regina gegangen war, verschloss ich die Tür von innen, entnahm eine Weihnachtslieder-CD aus meiner T asche und legte sie in meine Hi-Fi-Anlage. Es erklangen Glockentöne zur Einleitung.
Dann suchte ich meine Utensilien, sie befanden sich noch an gleicher Stelle, wo ich sie hingelegt hatte. Ich wusste, selbst wenn sie mein Büro regelmäßig durchsuchen würden, wäre es keinem Laien aufgefallen. Eine Spritze und flüssige Medikationen waren nicht gerade ungewöhnlich für einen Chirurgen. Ich hatte mein Todeswerkzeug erst gar nicht versteckt.
In einer meiner S chreibtischschubladen lagen reichlich Kanülen, Spritzen und mehrere Fläschchen mit Propofol und Botulinumtoxin. Botox hatte ich des Öfteren auch in meinem Büro gespritzt, das lag immer griffbereit da. Für gute Kundinnen mit wenig Zeit und viel Bargeld. Warum hatte ich mich nur auf Artjom eingelassen, ich hatte doch eigentlich alles?
Angst! Immer nur unbändige Angst ließ mich straucheln. In diesem Moment war es müßig , mein Versagen philosophisch zu ergründen und auch zu spät. Artjom hatte mich gebrochen, und niemand würde mich zusammensetzen oder mir helfen können. Mir schossen Tränen der Rührung in die Augen. Ähnlich wie bei Charlotte; ich musste es nun hinter mich bringen, sonst würde ich abbrechen und davonlaufen. Meine Gedanken machten Quantensprünge.
Selbst wenn sie in meinem Büro eine Überwachungskamera installiert hätten, würde Matwei oder ein anderer es nicht mehr schaffen, es zu verhindern. Die Wahrscheinlichkeit, mich zu reanimieren, lag nahezu bei null.
Es lief gerade „Stille Nacht, Heilige Nacht“, das war schön.
Ich machte es mir bequem auf dem sündhaft teuren Ledersessel, welchen mein Vater mir zur Klinikeröffnung geschenkt hatte.
Hastig krempelte ich mein Hemd am linken Arm hoch und wiederholte den gleichen Vorgang wie bei Charlotte Rosenberg.
Ich hoffte inständig, dass ich den Kolben der Spritze bis zum Anschlag würde durchdrücken können. Gott, gib mir die Kraft, wünschte ich mir noch – und drückte mit großer Anstrengung und war weg. Mein Organversagen nicht mehr abwendbar.
Kapitel 2 9
Das Manuskript habe ich auf meinem Computer verfasst und dann einmal ausgedruckt. Das Kapitel 28 habe ich vorweggenommen, nur dieses ist fiktiv, alles andere so geschehen und die reine Wahrheit! Gehen Sie davon aus, dass meine letzten Stunden so oder ähnlich abgelaufen sind. Anders wäre es mir ja nicht möglich gewesen, diese Zeilen fertigzustellen und auf die Reise zu schicken. Ich glaube nicht, dass mein bereitgestellter Babysitter die Spritze gedrückt, die letzten Zeilen bis zu meinem letzten Atemzug für mich niedergeschrieben und auch noch das Paket bei der Post eingeliefert hätte.
So viel Freundlichkeit durfte ich wohl nicht erwarten .
Ich habe sämtliche digitalen Spuren dieses Werkes, so gut es geht, beseitigt. Inständig hoffe ich, dass dieses Manuskript beim Dreihorn-Verlag eingetroffen ist und die bizarre Beichte meines unsinnigen Handelns gelesen wird. Ich möchte kein Mitleid oder Verständnis erhaschen, nein, beileibe nicht. Die Welt soll nur von Artjom Chlebnikov erfahren. Und es soll eine Mahnung für alle sein, was geschehen kann, wenn man versucht, mit dem Teufel tanzen zu wollen. Im Jenseits werde ich meine Freiheit wiedererlangen. Ich habe meinen eigenen Tod generalstabsmäßig geplant, es wird mir definitiv gelungen sein. Die Menge Propofol, die ich vorbereitet habe, könnte einen Elefanten töten. Mit einem starken, dickhäutigen Elefanten hatte ich leider nichts gemein.
Auf ein W iedersehen in einer hoffentlich besseren Welt
Dr. Henryk Dachsler.
Kapitel 30
Louise Fichter legte das letzte Blatt beiseite und schüttelte ihren Kopf.
Einfach nur verrückt und abgedreht!
Sie war berührt und mitgenommen. In jeglicher Hinsicht, sie musste sich mehrfach strecken, ihre müden alten Knochen schmerzten. Louise schaute auf ihre Armbanduhr und erschrak.
» Mein Gott, schon so früh ? « , entfuhr es ihr.
Sie hatte Tränen in den Augen, es dauerte eine Weile, bis sie wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Es war morgens halb sieben, Zeit zu duschen. Geschlafen hatte sie nicht eine Minute. Das Werk war ja nicht so umfangreich, an guten
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