2135 - Der Zeitbrunnen
Prinzessin wieder höher schlagen. „Ein pfauchonisches Beiboot", flüsterte sie. „Ein Beiboot der KIJ AKAN, Soners Flaggschiffs." Es handelte sich um eine diskusförmige Einheit von 120 Metern Durchmesser und achtzig Metern Höhe. Wie ein außen liegendes Spantenskelett spannten sich die fünf Arme einer sternförmigen, fünfadrigen Strebenkonstruktion über Ober- und Unterseite. Die Oberseite des Diskusschiffes bestand aus schwarzem Material, während die Unterseite wie aus Glas wirkte.
Sihame war unendlich erleichtert. Sie wusste nun, dass sie Soner doch richtig eingeschätzt hatte. Er hielt sich in Raud'ombir auf, ihrer Stadt. Denn er liebte sie, so, wie sie ihn liebte. Jetzt wusste sie, wohin sie sich als Nächstes zu wenden hatte.
Die Prinzessin hatte große Mühe, sich zu orientieren. Immer hatte sie sich gewisse Fixpunkte in Raud'ombir merken können, gebildet von kreischenden Händlern oder singenden Einwohnern. Immer wieder hatten sich die Pfauchonen und ihre Gäste an bestimmten Orten zusammengefunden. Das war an diesem Tag nicht mehr der Fall. Sihame hatte das bedrückende Gefühl, die leeren Häuser müssten über ihr zusammenstürzen und sie in den Gassen verschütten. Und auch hier galt: Niemand würde sie begraben, mit ihrem krijathaga, ihrer unsterblichen Seele.
Irgendwann kamen ihr die Gassen dennoch bekannt vor. Sie folgte ihrem Instinkt und entdeckte immer mehr vertraute Häuser und Straßen. Und schließlich stand sie vor der Herberge, in der sie und Soner bei ihrer Hochzeitsreise nach Zabar-Ardaran genächtigt hatten. Auf den ersten Blick erkannte die Prinzessin, dass die Herberge verlassen war, genau wie jedes andere Gebäude in der toten Stadt. Sie blieb stehen, war unsicher, was sie tun sollte. Denn plötzlich empfand sie eine gewisse Scheu davor, die Herberge zu betreten. Würde sie diesen für sie heiligen Ort nicht entweihen, indem sie Soner nachspionierte? Und wenn er sich doch darin aufhielt? Was sollte sie zu ihm sagen?
Sie gab sich einen Ruck. Er war ihr Gemahl. Er liebte sie, also würde er sie auch verstehen. An diesen Gedanken klammerte sie sich. Die Tür war unverschlossen. Mit angehaltenem Atem stieß sie sie auf. Durch geöffnete Fenster drang das Licht des Tages. Und es war wie ein Schock, als sie erkennen musste, dass die dahinter liegenden Kammern bewohnt waren. Sie fing sich schnell wieder. Was anderes hatte sie erwartet oder vielmehr gehofft? Wenn sie Soner hier zu finden gehofft hatte, warum erschrak sie dann?
Sie gab sich selbst die Antwort: weil sie tatsächlich immer noch nicht wusste, was sie ihrem Gemahl sagen sollte. Weil sie immer noch nicht wusste, weshalb er so gehandelt hatte und nicht anders. Denn die Liebe verzieh vieles - der Verstand aber suchte nach Antworten. „Soner?", rief sie halblaut ins Haus. Sie erhielt keine Antwort und wusste nicht, ob sie darüber erleichtert oder enttäuscht sein sollte. Sie gestand sich ein, dass sie Angst vor dem Prinzenkrieger hatte, vor ihrer Begegnung, die Schicksal war - gozin.
Sie rief weiter nach ihm, doch Soner schien sich an einem anderen Ort zu befinden, irgendwo in der Stadt. Was konnte sie tun? Langsam wich sie bis zum Eingang zurück, von der irrationalen Angst beseelt, von hinten könnte sich plötzlich eine Hand auf ihre Schulter legen oder um ihren Mund.
Soners Hand! Doch nichts dergleichen geschah. Sihame stand unschlüssig in der Tür. Immer wieder sah sie sich nach draußen um. Scheu, wie ein gehetztes Tier. Dann glitten die Finger ihrer rechten Hand zu dem Ring, den sie ihm einst geschenkt hatte, als sie beide noch jung waren, und den er ihr später zurückgab.
Es war in ihrer Partnerschaft vielleicht der wichtigste Gegenstand. Dieser Ring gehörte nicht ihr, er gehörte ihnen beiden. Er war das Symbol ihrer Partnerschaft und ihrer Liebe, denn mit diesem Ring hatte damals alles zwischen ihnen begonnen. Sihame legte den Ring vorsichtig auf den Tisch der Herberge. Danach atmete sie heftig aus 'und legte die gefalteten Hände vor ihre Stirn. Schließlich verließ sie die Herberge und zog sich auf einen Beobachtungsposten zurück, von wo aus sie sie überwachen konnte. Wenn Soner jetzt zurückkam und den Ring vorfand - er würde verstehen.
5.
Wo ist Sihame?
Sie hatten herausgefunden, wie der Zehnte Turm über eine Art „Sanduhr" zu steuern war, und ihn wieder in die senkrechte Stellung gebracht. Sie hatten einen Sarkophagentdeckt -leer, aber groß genug für einen Menschen. Und sie hatten
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