214 - Der Mann aus der Vergangenheit
dieses einsame Wesen, das im Alter von vierzehn Jahren aus der Heimat entführt und in ein völlig fremdes Land verpflanzt worden war, eigentlich empfand.
»Meint Ihr, dass ich der Richtige für Euch bin?«, fragte Jean-François Pilâtre de Rozier, plötzlich vom Mut gepackt. »Ich bin in der Tat nur ein einfacher Mann vom Lande. Ich mache Fehler. Ich bezahle mitunter dafür. Ich tue nur wenig Gutes. Aber ich weiß, dass ich eines Tages einmal eine Ernte einfahre, die jedermann zugute kommen wird.«
»Er ist also ein Philanthrop?«
»Manchmal. Aber man sagt mir auch nach, dass ich mich von Zeit zu Zeit wie ein trou du cul4 (Arschloch) verhalte.«
Die Königin kicherte. Sie lehnte sich gegen ihn.
Zutraulich, als hätten sie soeben einen Bund fürs Leben geschlossen. »Nun – ich würde mich freuen, mich in Zukunft mit beiden Seiten des Maître de Rozier unterhalten zu dürfen.«
***
»Das Belvedere im Wien, auf das ich meine Mutter, Gott hab sie selig, in den Sommern meiner Jugend Tag für Tag begleitet habe, ist wohl hundertmal so groß wie dieses hier«, sagte die Königin wehmütig.
»Du bist dennoch zu beneiden. Du besitzt ein wunderbares Lustschloss. Le Petit Trianon. Du gestaltest dir selbst deine Umgebung und spielst darin Leben. Du richtest Theaterstücke aus, vergnügst dich mit deinen Freunden, entkommst der Etikette am Hof, während Millionen von Menschen jeden Tag um ihr Brot kämpfen müssen.« Jean-François fühlte Marie-Antoinettes Wärme.
Sie suchte den körperlichen Kontakt, wann auch immer sie sich sahen. Niemals jedoch glitten die Intimitäten ab in einen Bereich der leidenschaftlichen Umarmung. Sie blieben stets… naiv und rein.
»Ich bin, was ich bin, Petitjoli. Ich fülle meinen Platz in der Historie zweier Großmächte aus. Weil es mir vorherbestimmt ist, weil ich für diesen einen Zweck in die Welt gesetzt wurde. Denkst du denn, meine Mutter fragte mich, bevor sie mich mit Louis verband?« Die Königin seufzte. »Ich hatte wahrlich anderes mit meinem Leben im Sinn! Ich bin Zwängen ausgeliefert, die du dir nicht vorstellen kannst. All dieser Luxus hier – er bedeutet mir nicht viel.«
»Liebst du ihn?«, wechselte Jean-François das Thema.
»Den König?« Marie-Antoinette kicherte. »Ich mag ihn.«
»Wen liebst du dann?«
»Du wirst impertinent, mein Freund.«
»So, wie du es von mir verlangst.«
»Nun ja – da ist dieser junge Schwede…«
»Hans Axel, Graf von Fersen. Der schöne Schwede.«
»Ja.« Sie seufzte sehnsüchtig. »Ich hoffe, dass er eines Tages mein Bett wärmt.«
»Du wirst dir weitere Feinde machen, wenn du es allzu toll treibst. Die Kosten zur Erhaltung von Le Petit Trianon sind in den Straßen von Paris ein beliebtes Gesprächsthema. Auch die Halsbandaffäre ist noch längst nicht vergessen. Dazu kommt dein Verhalten der du Barry gegenüber. Und angebliche Liebesverhältnisse mit Hofdamen…«
»Ich kenne die Liste nur zu gut!« Abrupt wandte sich Marie-Antoinette von ihm ab und stand auf. »In den Augen des Volkes bin ich eine Feindin Frankreichs, weil eifersüchtige Hofschranzen dieses Bild unter allen Umständen erzeugen wollen! Diese Kretins wollen mein Unglück herbeiführen, ohne daran zu denken, dass sie damit das gesamte Königshaus der Bourbonen an den Rand eines Abgrundes geleiten.« Marie-Antoinette ballte ihre Fäuste. Ihre Augen blitzten auf. »Ich sehe es kommen, mein Freund! Auch wenn sich mein teurer Gemahl noch so sehr gegen sein Schicksal auflehnt – der Pöbel klopft an unsere Pforten. Frankreich wird bald nicht mehr so sein, wie es einmal war. Eine Revolution wird geschehen, und sie wird sich über ganz Europa ausbreiten.«
»Woher willst du das so genau wissen? Bist du etwa unter die Wahrsagerinnen gegangen?«
»Ich lese die Zeichen der Zeit. Louis hat, um den Einfluss der Briten zu schwächen, immense Summen aufgebracht, um dem Volk der Amerikaner die Unabhängigkeit vom Mutterland zu bescheren. Tausende Franzosen ließen auf fremdem Boden ihr Leben in diesem Stellvertreterkrieg. Louis’ Idee war formidabel, zweifelsohne, allerdings mit zwei Schönheitsfehler behaftet: Die Unabhängigkeitserklärung der américains beinhaltet zu viel Sprengstoff, zu viele revolutionäre Ideen. Soldaten und Heerführer, die mein Gatte nach Übersee verschiffte, bringen diese Gedanken zurück in die Heimat. Sie verbreiten diese Dinge. Sie wirken wie ein schleichendes Gift und künden von einem Leben ohne König und Königin.«
»Und der zweite
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