2183 - Mit den Augen der Cishaba
Sie sendeten diese Gedanken nach Koredein und nach Dromp V, vergifteten damit deren Insassen und Bewohner. Sie trieben sie in den Irrsinn und machten zahlreiche Menschen zu mordenden Irren. Und dasselbe Schicksal sollte in diesem Moment auch June blühen. Sie spürte, wie sie vom Sog des Verderbens erfasst wurde und ein Strudel ihren Geist in den Abgrund zu zerren drohte.
Doch plötzlich war sie wieder frei. Der Spuk hatte sich aufgelöst, June fand sich im Chaos des Weltraumpalastes wieder.
June hatte nicht die Zeit und Muße, den unheimlichen Vorfall zu analysieren. Es ging jetzt ums nackte Überleben. Sie musste sich geradezu durch die Menschenmenge arbeiten. Dabei kam ihr die Nahkampfausbildung zugute, die sie im Terranischen Liga-Dienst erhalten hatte und die überhaupt nicht zu ihrer glamourösen Erscheinung zu passen schien. Sie wurde gestoßen, Hände zerrten an ihr, Fäuste schlugen, Nägel kratzten. June schlug einfach zurück, räumte Körper um Körper beiseite, bis sie sich endlich Luft verschafft hatte. Sie fand sich in einem wenig benutzten Teil des Palastes wieder, abseits der Beiboothangars, fern der Transmitterregionen.
Eine Frau kam ihr kreischend entgegen, klammerte sich verzweifelt an sie. June schlug der Frau leicht ins Gesicht, um sie zum Schweigen zu bringen „Folge mir, wenn du überleben willst!", herrschte sie die hysterische Frau an und eilte weiter, ohne sich um die Frau zu kümmern. June erreichte den Hoteltrakt. Sie blickte kurz hinter sich und sah, dass sich der Frau weitere Leute aus verschiedenen Völkern angeschlossen hatten. „Schneller! Beeilt euch! Wir haben nicht mehr viel Zeit!", rief sie den anderen zu und sprang in den nächsten Antigravschacht. Darin schwebte sie bis zur obersten Etage. Ein Blick nach unten zeigte, dass ihr zahlreiche Menschen folgten. Es waren zu viele, als dass Bourgos Privatjacht sie alle hätte fassen können.
Notfalls müssen sie sich wie Sardinen schichten, dachte June fieberhaft.
June sprang aus dem Antigravschacht und erreichte die Tür zu Bourgos Suite. Wie sie nicht anders erwartet hatte, war sie verschlossen. Für June war das kein Problem. Bourgo hatte dafür gesorgt, dass sie jederzeit Zugang zu seinen Privaträumen hatte. Dafür war sie ihm jetzt dankbar, obwohl er ganz andere Gedanken dabei gehabt hatte. June legte ihre Rechte auf die dafür vorgesehene Fläche und blickte mit dem rechten Auge in den Sensor.
Enttäusche mich jetzt nicht, Bourgo!, dachte sie. Die Tür ging auf, und June trat ein. Sie wartete im Eingang, bis zwei Dutzend Menschen hindurch waren. Dann verließ sie ihren Platz, so dass sich die Tür hinter ihr schloss. Sie achtete nicht auf das verzweifelte Hämmern gegen die Tür, sondern stürmte vorwärts. Jetzt konnte sie sich keine falschen Sentimentalitäten erlauben, es ging um jede Sekunde.
Auf dem Weg durch die Räume sah June überall Menschen, die sich wie in Trance bewegten. Mit Hilfe irgendwelcher Halluzinogene hatten sie sich Träume verschafft und bekamen nichts von dem mit, was um sie vor sich ging. „Nehmt sie mit!", befahl June den ihr Folgenden im Vorwärts eilen. „Wenn sie nicht gehen können, müsst ihr sie tragen. Wir wollen sie alle retten." Auf einmal klammerte sich von hinten ein Mann an sie. „Du musst zurück und meine Frau holen", flehte er sie an. „Sie ist noch draußen."
„Dafür ist es zu spät", sagte June kurz und wollte weiter. Aber der Mann gab nicht nach. Er stellte sich ihr in den Weg. „Du verdammtes Miststück, wenn du nicht sofort ...", herrschte er sie an. Weiter kam er nicht. June streckte ihn mit einem Faustschlag nieder und zerrte den Bewusstlosen hinter sich her, obwohl ihr klar war, dass ihr sein Hass für ewig gewiss war.
Als sie mit ihrer Last die Luftschleuse zur Jacht erreichte, sah sie, wie Ojan und Afshin gerade den noch immer paralysierten Zanon zur Hedden durch diese verfrachteten. „Seid ihr die neue Leibwache des Lordkanzlers?", erkundigte sich June spöttisch bei den Ara-Zwillingen. „Für Anzüglichkeiten ist jetzt keine Zeit", sagte einer von beiden. June erkannte nicht, ob es Ojan oder Afshin war. „Wir müssen Koredein schleunigst verlassen", sagte der andere. „Du darfst gerne mitkommen."
„Ihr müsst alle Personen in meiner Begleitung mitnehmen", forderte June. „So viel Zeit ist doch noch!"
Hinter June drängte sich eine ganze Schar von Flüchtlingen. Die Ara-Zwillinge hatten keine Wahl: Entweder konnten sich alle rechtzeitig absetzen - oder
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