2183 - Mit den Augen der Cishaba
selbst zu vernichten. Sie wurden zu Selbstmördern, die möglichst viele andere mit sich in den Tod nehmen wollten. Dank ihrer Mentalstabilisierung war Sinjune Toria ein solches Schicksal erspart geblieben.
Sie wurde von einem Beamten in Zivil befragt, der sich als Kommissar Jordo Appalur vorstellte. Er war ein groß gewachsener Terrastämmiger mit kleinen, finsteren Augen und gewaltigem Schnurrbart. „Wie geht es dem Lordkanzler?", wollte June als Erstes wissen. „Ich stelle hier die Fragen", sagte der Kommissar scharf. Anschließend verlangte er, dass sie die Vorgänge auf Koredein Palace aus ihrer Warte schildere. June erzählte, was sie erlebt hatte. Sie wies besonders darauf hin, dass die Ara-Zwillinge den durchdrehenden Lordkanzler unschädlich gemacht hatten. Jordo Appalur ging nicht einmal darauf ein. Er unterbrach ihre Schilderung kein einziges Mal. Der Kommissar wollte nicht einmal wissen, warum sie freien Zugang zu den Privatgemächern von Bourgo Zanon zur Hedden hatte.
Bestimmt ist er darüber informiert, dachte June sarkastisch, während sie berichtete. Die haben hier bestimmt schon ein Dossier über mich. Der Kommissar wurde erst hellhörig, als sie von ihrer Doppelwelt-Erfahrung erzählte. „Klingt interessant", sagte er. „So etwas habe ich bislang von keinem anderen Fall gehört." Er kritzelte etwas in einen altertümlich wirkenden Notizblock, bevor er sie wieder anschaute. „Kannst du dir vorstellen, was dieses Phänomen bedeutete?" Kurz überlegte June. Wenn sie jetzt mit der Wahrheit herausrückte, gefährdete sie ihre Tarnexistenz auf dem Planeten. Danach war sie keine unbedeutende junge Frau mehr, die eben gerne auf Veranstaltungen ging, sondern eine Person, die man polizeilich beobachten würde.
Sie entschloss sich zur Wahrheit. Ich muss Dromp Vohnehin bald verlassen, dachte sie, meine Mission ist spätestens nach diesen Geschehnissen beendet. „Diese fremde Macht wollte mich übernehmen", sagte sie. „Dieser Gedanke, alles, was ist, muss enden, ist identisch mit dem Ruf, den die Amokläufer ausstoßen, bevor sie loslegen. Ich gehe fest davon aus, dass diese unbekannte Macht mich als Amokläufer wollte und scheiterte." Der Kommissar lehnte sich zurück und strich über seinen gewaltigen Schnurrbart. Grausig, dachte June. Männer mit Bart hatten sie schon immer abgestoßen. „Und warum ist diese fremde Macht gescheitert?"
„Ich bin mentalstabilisiert", gestand June. „Schon seit Jahren." Jordo Appalur richtete sich auf, atmete kräftig durch. „Das ist stark", sagte er. „Was meinst du denn, wie viele Leute auf Dromp Vmentalstabilisiert sind? Was glaubst du, Sinjune Toria?" Die Fragen klangen lauernd, sein Gesichtsausdruck war kritisch. „Keine Ahnung", antwortete sie achselzuckend. „Einige hundert? Tausende?"June wusste genau, warum er diese Fragen stellte, aber sie hatte nicht vor, ihm sein Spiel zu einfach zu gestalten. „Ich bin es nicht und der Lordkanzler auch nicht", sagte Appalur. „Ich kenne überhaupt keinen einzigen Mentalstabilisierten auf Dromp VWie kommst dann du zu diesem Vorzug, Sinjune Toria?"
Sie lächelte freundlich. „Ich wollte mit meinem Hinweis bloß eine Hilfestellung geben. Mehr nicht. Meine Vorgeschichte interessiert die Polizei sicher nicht. Warum also diese kritische Frage, Kommissar?"
„Auf Dromp Vtreibt sich allerhand zwielichtiges Volk herum", antwortete Appalur ruhig. „Ich möchte nur wissen, wo du einzuordnen bist. Und wer du wirklich bist."
„Ich bin eine gute Freundin des Lordkanzlers, das solltest du besser nicht vergessen", sagte June und erhob sich. „Sind wir fertig?" Kommissar Jordo Appalur wies zur Tür. „Du kannst gehen", sagte er, wobei die unterdrückte Wut in seiner Stimme deutlich wahrzunehmen war. „Aber halte dich zu unserer Verfügung."
„Wie geht es Bourgo?", wiederholte June ihre Frage in der Tür. Der Kommissar feixte. „Er erfreut sich bester Gesundheit."
„Wie soll ich das verstehen?"
„Wie ich es sagte. Der Lordkanzler ist wieder völlig in Ordnung." Mehr wollte er dazu nicht sagen, und June ging. Beim Verlassen des Gebäudes traf sie auf einen der Ara-Zwillinge, die dem Lordkanzler das Leben gerettet hatten. „Wie geht es dem Lordkanzler, Ojan?", fragte sie ihn. „Ich bin Afshin", berichtigte der glatzköpfige Mann. „Der Lordkanzler ist wieder er selbst. Aber er kann sich an nichts mehr erinnern."
„Du meinst, er kann keinerlei Angaben über die Zeit seiner geistigen Übernahme machen?"
„So
Weitere Kostenlose Bücher